Zeitreise in die 1980er

Die Berlinale zeigt mit »B-Movie« die bislang wohl umfassendste Musikdoku über West-Berlin

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es beginnt in Manchester in den 1970er Jahren. Die Stadt ist am Boden, Arbeitslosigkeit, Tristesse, Gewalt sind präsent auf den Straßen der traditionsreichen englischen Industriestadt mit ihren über 500 000 EinwohnerInnen. Die Flucht aus diesem Alltag war für viele Jugendliche die in den 70er Jahren aufgekommene Punkbewegung. Die Musik schien der Weg aus dem Drama zu sein, erzählt Mark Reeder. Die vielfältige Musikszene ist weit über die Grenzen Englands hinaus bekannt.

Die Mode des Punk war schroff und auf Abgrenzung bedacht, was provozierte, wurde getragen. Dazu gehörten Hakenkreuze und Uniformteile. Deutschland kannten sie nur aus Kriegsfilmen, sagt der 1958 in Manchester geborene Reeder. Er sei aber früh mit dem »Exportvirus« infiziert gewesen: Seine Leidenschaft galt elektronischer Musik aus Deutschland, Gruppen wie Tangerine Dream oder Kraftwerk.

Um dieser Szene näher zu sein, zog Reeder 1979 nach West-Berlin, das ummauerte Mekka der Freaks und Kreativen, der Politniks und Bewegten, der besetzten Häuser und der vielfältig aufgefächerten Subkultur. Damit ist nach wenigen Minuten die Verbindung geschaffen zum Thema der Musikdokumentation »B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin«, die dieser Tage auf der Berlinale Premiere feierte. In 92 Minuten unternehmen die drei Regisseure Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange einen aufregenden Ritt durch die geteilte Stadt, der von 1979 bis 1989 andauert.

Roter Faden dieser wohl umfassendsten Dokumentation der West-Berliner Musikgeschichte der 1980er Jahre ist das Leben des Musikers, Schauspielers, Produzenten und Autors Mark Reeder. Seine Suche nach der elektronischen Musik, die mit dem Wegzug aus Manchester beginnt, gelangt erst in Berlins aufkommender Technoszene an ein Ende. Dazwischen liegen zehn Jahre Punk, Rock, New Wave und die Neue Deutsche Welle. Reeder taucht ein in die Szene hinter der Mauer, beschreibt die exzessiven, durchwachten Nächte, die Clubs, das sich Entwickelnde und nie zur Ruhe Kommende, das sich immer wieder an der Kaputtheit West-Berlins reibt und seine Kraft und Kreativität daraus zieht. Alle vorkommenden KünstlerInnen aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen. Ein Ausschnitt: Keith Haring, Gudrun Gut, Blixa Bargeld, Jörg Buttgereit, Ben Becker, »der wahre Heino« alias Norbert Hähnel, Einstürzende Neubauten, Die Ärzte, Die Toten Hosen, Nena, DJ Westbam ...

Über vier Jahre haben die Regisseure hunderte Stunden Material zusammengetragen. Die Idee, einen Film über die West-Berliner Szene der 1980er Jahre zu machen, erzählt Heiko Lange gegenüber »nd«, habe sich bald in Richtung Lebensgeschichte Reeder konkretisiert, weil in den Aufnahmen immer wieder der junge Engländer mit dem Uniformfetisch auftauchte. »Wir wollten keine Dokumentation im herkömmlichen Sinne machen, nicht nur sprechende Köpfe zeigen.« Ziel sei gewesen, das damalige Lebensgefühl aufleben zu lassen. Heiko Lange ist mit 39 Jahren der jüngste der drei. Das im Film beschriebene West-Berlin hat er nicht erlebt. »Der Film ist auch deshalb so geworden, weil wir so unterschiedlich sind«, sagt er. Manchmal konnte er die beiden Kollegen bremsen, wenn sie zu sehr in die Vergangenheit einzutauchen drohten, »und manchmal nahmen sie mich mit«.

Ihr Ziel, das Lebensgefühl aufleben zu lassen, haben die Macher von »B-Movie« erreicht. Einen Anteil daran hat das Zusammenspiel von Bild und Ton. Der Film sollte nicht nur so aussehen, sondern auch so klingen, wie diejenigen, die dabei waren, sich an die Zeit erinnern. Fast keine Stille, keine Pause, Geräusche der Stadt blenden in Musik über, die im Mittelpunkt des Filmes steht. Für ihn sei es ein besonderes Erlebnis gewesen, in das Gefühl dieser Zeit einzutauchen, sagt Elias Struck von der »Tonfabrik«, der für den Sound des Filmes verantwortlich ist. Man darf hoffentlich davon ausgehen, dass dieser absolut sehenswerte Film auch irgendwann in den Kinos zu sehen ist.

Vorführungen: 11.2., 22.30 Uhr (Colosseum 1), 13.2., 22.45 Uhr (CineStar 3), 14.2., 22.30 Uhr (CineStar 7)

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