Merkels Einsicht im Ukraine-Konflikt

Peter Wahl fragt, ob das Minsker Abkommen eine Wende in der deutschen Außenpolitik darstellt.

  • Lesedauer: 3 Min.

Zu Recht konzentriert sich bei Minsk II die Aufmerksamkeit darauf, ob die Vereinbarung umgesetzt wird. Aber das Abkommen enthält darüber hinaus einiges Neues. Da ist zunächst das Format beachtenswert, das »Normandie-Format«, so genannt nach dem Zusammentreffen von François Hollande, Angela Merkel, Wladimir Putin und Petro Poroschenko im Sommer 2014. Hoch interessant ist allerdings auch, wer nicht dabei war.

Da ist an erster Stelle die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Die Italienerin steht beim Thema Ukraine auf dem Abstellgleis. Denn spätestens mit der Debatte um US-Waffenlieferungen an Kiew hatte Merkel begriffen, dass die Lage ernster ist als gedacht. Der Geist, den sie selbst aus der Flasche gelassen hatte, musste zurück. Deeskalation war nötig. Dazu braucht es handlungsfähige Akteure. Und für eine so komplexe Operation kam die EU nicht in Frage. Die Dynamik eines Krieges richtet sich nicht nach den verwickelten Abstimmungsverfahren zwischen 28 Hauptstädten. Wenn es wirklich ernst wird, ist Brüssel handlungsunfähig, so sehr dies die Anhänger der Idee von der »Supermacht Europa« auch schmerzen mag.

Hinzu kommt, dass die EU selbst bei hypothetischer Handlungsfähigkeit nicht zu einer Deeskalationspolitik in der Lage gewesen wäre. Zu groß ist inzwischen der Einfluss der außenpolitischen Falken und Scharfmacher. Deshalb war auch Polen in Minsk nicht dabei – anders als bei der Vereinbarung mit Wiktor Janukowytsch vom Februar vergangenen Jahres über vorgezogene Wahlen, an der der damalige Außenminister Radosław Sikorski teilnahm.

Dabei hat Warschau sich als außenpolitischer Akteur selbst disqualifiziert, so zum Beispiel durch Sikorskis »Enthüllung«, Putin habe 2009 dem polnischen Präsidenten vorgeschlagen, die Ukraine zwischen Russland und Polen aufzuteilen. Das war schlicht gelogen, und Sikorski musste gehen. Auch Merkel weiß, dass mit solchem Personal keine Deeskalation hinzubekommen ist. Das gilt auch für Sikorskis Nachfolger, der die Befreiung von Auschwitz der Ukraine zuschreibt, weil der Kommandant des Panzers, der zuerst das Lager erreichte, Ukrainer war. Bezeichnenderweise hat Sikorski, inzwischen Parlamentspräsident, Minsk II heftig kritisiert. Der Berater des polnischen Präsidenten Roman Kuzniar sprach sogar von einer »Verhandlungsniederlage des Westens und der Ukraine«.

Schließlich fällt auf, dass auch London keine Rolle im Krisenmanagement spielt. Traditionell sind die Briten bei dem Thema eher mit Warschau auf einer Wellenlänge. Aber der Wahlkampf für das Unterhaus hat begonnen und David Cameron muss dabei die UK Independence Party (UKIP) als ernsthafte Konkurrenz fürchten. Da die UKIP russlandfreundliche Opposition betreibt, kann Cameron keine Debatte über die Ukraine gebrauchen.

Der größte Abwesende freilich war Barack Obama. Allerdings dürfte er im Geiste mit dabei gewesen sein. Denn Merkel hatte sich zuvor grünes Licht in Washington geben lassen. Obama will – ebenfalls aus innenpolitischen Motiven – dem Druck der Falken nicht nachgeben, zumindest noch nicht. Schließlich verfügt er mit dem Einfluss auf das bellizistische Lager in Kiew über einen Hebel, den Prozess jederzeit scheitern lassen zu können. Insofern ist Minsk II auch eine Auseinandersetzung zwischen Washington und Berlin/Paris um das Mischverhältnis von Autonomie und Abhängigkeit zwischen Supermacht und Juniorpartnern.

Auch einige nicht-militärische Punkte von Minsk II könnten auf mehr als nur einen taktischen Gesinnungswandel bei Merkel deuten. Mit der Festlegung auf Autonomie des Donbass, mit der Berücksichtigung russischer Interessen beim EU-Assoziierungsabkommens und mit der Perspektive eines Wirtschaftsraumes vom Atlantik bis zum Pazifik ist sie von dem abgekommen, was sie mit ihren zahllosen Telefonaten mit dem Kreml nicht erreichte: Russland zum Einlenken zu bewegen, sprich zur Kapitulation aufzufordern. Offenbar hat sie endlich die goldene Regel der Konfliktlösung begriffen: Dieser Konflikt ist nicht beizulegen, indem man auf Sieg setzt, sondern nur durch fairen Interessenausgleich.

Muss man sich jetzt grämen, dass Merkel dabei »deutsche Führungsstärke« an den Tag gelegt hat? Nein, solange es dem Frieden nützt, ist nichts dagegen einzuwenden. Man wird ja auch nicht AKW-Fan, nur weil Merkel den Atomausstieg beschlossen hat.

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