Gut und edel gemacht, aber harmlos gestickt
Staatsoper im Schillertheater: »Through Roses« von Marc Neikrug über einen Geiger, der der Hölle von Auschwitz entronnen ist, in der Werkstatt
Das Stück ist jünger als Schönbergs »Überlebender von Warschau« (1947) und Peter Weiss’ »Die Ermittlung« (1965). Es entstand 1979/80. Marc Neikrug komponierte ein Melodram mit Instrumenten und Sprecher. Die Uraufführung fand 1980 in London statt. Porträtiert wird in 50 Minuten ein Geiger, der Auschwitz überlebte und assoziativ-psychodramatisch nach außen trägt, was ihm das Mördertum im Lager antat.
Für die Staatsoper im Schillertheater besorgte Neko Celik die Werkstatt-Inszenierung. Der berühmte Udo Samel spielt darin den Violinisten ohne Geige mitten im Publikum und kreisend um es herum. Felix Krieger dirigiert die auf der Empore postierten acht Musiker. Ausstatter Stephan von Wedel suggeriert einen Raum, worin das Publikum sich als Insasse des Lager fühlen soll.
Komisch, da sitzen die Leute auf sargähnlichen Holzkästen einander gegenüber (kaum junge übrigens) und bestaunen die Aktionen des untersetzten, dicklichen, fast kahlköpfigen Schauspielers, wie er sich gräulichste Erlebnisse aus dem Munde ringt und es nicht versäumt, so kummervoll wie wilden Auges zu gestikulieren, an aufgehängten Kleidungsstücken (augenscheinlich von toten Mithäftlingen) sich auszuweinen und überhaupt dramatisch zu leiden. Derlei reißt nicht von der Bank, stößt nicht hinein in tiefere Schichtungen des Hirns. Sentimentalitäten kennt die Auschwitzliteratur genug.
Einmal wischt Samel zu Füßen derer, die zufällig dort sitzen, den Boden und malt etwas Unkenntliches mit dem Finger darauf. Die Mitinsassen dürfen nun Gefühle haben und sich dazu verhalten. Es schien, als hätten sie gar keine Gefühle und ihr Verhalten laufe darauf hinaus, weiter starr zu hocken und müd’ zu horchen und zu glotzen. Traumata eines Musikers, der Hölle entronnen.
Das alles ist gut und edel gemeint, allein das Ganze ist zu harmlos gestrickt, allzu zähflüssig und darum nicht wahr genug. Dazu Firlefanz. Zwei kleine Mädchen in Dirndlkleidern stehen im Halbdunkel des hinteren Eingangs und müssen lange auf ihren Auftritt warten. Kinder von SS-Wachhabenden sollen es sein, so zu lesen im Programmheft. Endlich dürfen sie ihre Zünglein betätigen und den Geiger als »Judenschwein« beschimpfen. Der seinerseits äußert Reflexe der Empörung und bekennt schließlich, manchmal sei die Musik, die er spiele, tatsächlich sauschwer. Der Witz des Abends.
Anlage wie Inszenierung des Stücks werfen Probleme auf. Wie viel Schweiß und Zweifel mag es kosten, über Auschwitz, Theresienstadt, Bergen-Belsen auch nur ein künstlerisches Wort zu verlieren? Zweifellos sind die Weisen, sich dem Gegenstand zu nähern, mannigfach. Allenthalben den ganzen Ernst der Sache erkennende Autoren scheiterten häufig genug daran. Es erübrigen sich hingegen solche Beiträge, deren Gebärden eben nicht in den Magen fahren, deren Strukturen die gebotene Schärfe und Klarheit nicht haben. Zu denen gehört zweifelsfrei das Stück von Marc Neikrug.
Adornos Diktum, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, ist vielfach ignoriert und gehässig kommentiert worden. Aber dies Diktum negiert nicht nur, es provoziert zugleich, es stachelt zu höchstmöglichem Anspruch an. »Through Roses« genügt solchem Anspruch nicht im mindesten. Die Faktur ist dürre. Auffallend jene vielen Stellen, an denen dem Autor danach nichts mehr einfällt. Die Komposition ist Stückwerk. Selbst expressive Punkte, bei denen Sprecher und unterlegte Musik eine Symbiose einzugehen vermögen, können dergleichen nicht kaschieren. Die Komposition ist zugestellt mit Zitaten und Stilkopien. Haydns »Kaiserquartett« (Melodie des Deutschlandliedes) zum Beispiel, das der Autor anführt, ist Objekt einer Verarbeitung ohne jeden Witz und Scharfsinn. Es gebricht dem gesamten Werk tragischerweise einfach an Könnerschaft.
Weiter: 26. und 28.2., jeweils 20 Uhr, Schillertheater, Bismarckstraße 110, 10625 Berlin; www.staatsoper-berlin.de
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