Heckenschütze und Hütehund

Im Kino: »American Sniper« von Clint Eastwood

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.

Am gestrigen Mittwoch wurde Eddie Ray Routh von einem US-Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt, vorzeitige Entlassung ausgeschlossen. Das ist ein Urteil, das in Deutschland selbst bei klarem Mord als hart empfunden würde. Routh ist zudem ein traumatisierter Kriegsveteran, der in geistiger Umnachtung und fern niedriger Beweggründe einen anderen Kriegsveteran erschossen hat. Diese Tat als Mord und nicht als Totschlag zu werten, erfüllt den Tatbestand der Rachsucht. Dieses Bedürfnis speist sich aus der Identität des Opfers: Chris Kyle war jener »legendäre« Heckenschütze der US-Armee, den Clint Eastwood in seinem kontroversen Film »American Sniper« zum ziemlich makellosen Helden zurechtbiegt.

Kyle war ein legalisierter Serienkiller, der mindestens 160 Menschen aus der sicheren Entfernung seines Sniper-Nests in den Kopf geschossen hat. In seinen Memoiren beschreibt er das als »geliebten Spaß«, denn: »Ich hasse die verdammten Wilden.« Was hätte das also für ein Antikriegsfilm werden können - über einen offensichtlich verrohten US-Soldaten, der seine Position als Scharfschütze nicht nur zum Massenmord nutzt, sondern dies auch aus kultureller Überheblichkeit heraus tut und damit zum Volkshelden aufsteigt. Und dies alles in einem völkerrechtswidrigen Krieg, dem eine der größten Lügenkampagnen der Geschichte vorausging. Doch Clint Eastwood wollte keinen Antikriegsfilm machen, sondern ein Schlachtenepos. Eines, das mitreißt noch dazu. Und eines, das nicht nur die Person des Kyle weißwäscht, sondern auch gleich den ganzen Irakkrieg.

Der kleine Chris Kyle wird schon vom Vater an der Waffe ausgebildet und indoktriniert: »Es gibt Schafe, Wölfe und Hütehunde: Ihr müsst die Hütehunde sein, die die Schafe vor den Wölfen beschützen«, schärft er seinen Söhnen ein. Ein kurzer Schnitt auf islamistische Anschläge dreht die politischen Verhältnisse auf den Kopf: Das Schaf USA wird vom islamistischen Wolf gerissen. Da kann nur der Hütehund helfen: Die US-Armee. Im Film begründet Kyle seinen Blutrausch in Bagdad mehrmals mit den Verbrechen, »die uns die Barbaren angetan haben«. Diese Verbrechen Iraks gegen die USA aber gab es nicht, die Opferposition wird von Eastwood hier dreist vertauscht.

Die Action-Sequenzen des Films sind rauschhaft, die Dramaturgie gelungen: In Gegenschnitten werden die Welten des von Bradley Cooper grimmig und stoisch verkörperten Kyle kontrastiert: Die dreckige Sandhölle der »Wilden« und die Ehehölle zuhause, die er aber nach und nach in den Griff bekommt - auch durch sein Engagement für Veteranen, das ihn schließlich das Leben kostet. Stark sind Szenen, in denen sich der Schlachtenlärm ins Wohnzimmer schleicht, oder sich Kyle während eines Barbeques plötzlich im Schützengraben wähnt. »American Sniper« ist also streckenweise richtig gelungenes Drama- und Adrenalinkino, natürlich mit jeder Menge Sniper-Kult, klackenden Magazinen und geölter Technik.

Trotz Eastwoods Geschichtsfälschungen wird der allgemeine Wahnsinn des Krieges durchaus deutlich - wenn nur nicht dauernd darauf verwiesen würde, dass dieser Wahnsinn eben notwendig sei und man außerdem auf der richtigen Seite stehe. Da schafft Eastwood etwa einerseits das verstörende, für sich schon kritische Bild von US-Soldaten, die einen ganzen Stadtteil einmauern - gegen »den Terror«, wie es zur Begründung heißt. Diese Behauptung wird dann aber nicht hinterfragt. Stattdessen wird gezeigt, wie schwer es ist, die Gegner des Bauwerks zu erschießen. Es ist zwar richtig, die einzelnen US-Soldaten als Opfer der häuslichen und medialen Indoktrination und des täglichen Kriegsirrsinns zu zeigen - und ihnen so einen Teil ihrer Verantwortung für die in Irak verübten Verbrechen abzunehmen. Aber alle Hintergründe ihrer Anwesenheit auszublenden oder zu verdrehen, das ist geradezu propagandistisch.

Die Iraker sterben in »American Sniper« wie die Fliegen, sie bleiben anonym, wir lernen keinen einzigen von ihnen kennen. Mit einem irakischen Scharfschützen führt Kyle einen Privatkrieg - ihn sieht man ab und zu durchs Fernrohr, mehr nicht. Die anderen Einheimischen bleiben gesichtslos oder foltern mit Bohrmaschinen, schicken ihre Kinder mit Bomben vor und stapeln zu Hause menschliche Gliedmaße. Übergriffe oder Kriegsverbrechen der US-Soldaten? Fehlanzeige. Und während wir Kyles Familie ins Herz schließen, können wir die Verwandtschaft der zahllosen Opfer nur erahnen. Die US-Weste bleibt weiß, egal, wie viel Araber-Blut daran klebt.

Immer wieder schwer erträglich ist zudem diese im Film völlig kritikfrei gezeigte, in den USA weit verbreitete Sympathie für das Kriegerische, für eine Gesellschaft, in der das Gift der Militarisierung schon in den Familien mit Stolz weitergegeben wird. »American Sniper« ist der erfolgreichste Kriegsfilm aller Zeiten, das Bedürfnis nach zweifelsfreier Absolution ist gewaltig. Und der Film spaltet die USA an den bekannten Fronten: Michael Moore twittert, dass Scharfschützen Feiglinge seien, Sarah Palin kontert, dass die arroganten Großstädter es nicht Wert seien, »von Helden wie Chris Kyle beschützt zu werden«.

Clint Estwood ist als knorriger Konservativer bekannt. Doch diese Einseitigkeit, diese furiose, aber fast schon extremistische Rechtfertigung für den Irak-Krieg ist dann doch überraschend - und nicht einmal patriotisch. Denn dieser Krieg traf nicht nur die Iraker. Mit seinen drastischen finanziellen und ideologisch-medialen Folgen richtete er sich auch gegen die US-Bevölkerung. Diese aufzuklären und gegen neuerliche Kriegs-Kampagnen (wie aktuell zur Ukraine) immun zu machen, das wäre patriotisch. Der Film bewirkt leider das Gegenteil.

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