Preisfrage: Wie viel kostet ein Parlamentssitz?
In Bremen gibt es viel Aufregung um die Anschaffung neuer Sessel für die Bürgerschaft - von 2000 Euro pro Stück ist die Rede
Bremen. Wahrscheinlich ziemlich unabsichtlich hat sich die Bremische Bürgerschaft drei Monate vor der Wahl ein Problem mit den Sitzgelegenheiten der Abgeordneten geschaffen. Die Stühle im Plenarsaal sind arg in die Jahre gekommen. Seit der Eröffnung des Hauses 1966 versehen sie ihren Dienst - mit einer zwischenzeitlichen Aufpolsterung. Sie gelten als unbequem, unflexibel und bereiten manchem Abgeordneten Rückenschmerzen.
Neue Sitzgelegenheiten sollen her. In Farbe und Design passend zu dem unter Denkmalschutz stehenden Haus, dabei ergonomisch, dreh- und einstellbar. Womit die Abgeordneten nicht gerechnet haben: Eine wahre Flut von kritischen Leserbriefen und E-Mails ergoss sich über die Parlamentarier. Nach einer Marktanalyse und Sitzproben stand ein Modell zur Debatte, das bei 130 Exemplaren rund 250 000 Euro kosten soll. In einem Land mit extremer Haushaltsnotlage werteten viele Kommentatoren das als unangemessen teuer, wenn nicht gar als Ausdruck von Arroganz und Abgehobenheit.
Ein Blick in andere Parlamente zeigt nach einer Recherche des »Weser-Kurier«, dass es günstiger geht. Etwa in Berlin mit 900 Euro pro Stuhl oder Nordrhein-Westfalen mit 1500 Euro. Das Saarland aber, ebenso klamm wie Bremen, hat demnach Stühle für 3400 Euro pro Stück angeschafft und in Schleswig-Holstein, auch ein Nehmerland im Länderfinanzausgleich, sind die Parlaments-Sitzgelegenheiten mit 3300 Euro ebenfalls kein Schnäppchen.
Dass die Fraktionen mit dem Verfahren und seinen öffentlichen Folgen unglücklich sind, ist ein offenes Geheimnis. Zumal sie das Problem zum Teil selbst angerichtet haben - eben durch den Wunsch, bequemer zu sitzen. Die Vorsitzende der Linksfaktion, Kristina Vogt, findet den vorgeschlagenen Stuhl ohnehin unbequem und würde die Wahl eines wesentlich preiswerteren Modells vorziehen. »Man muss keine 2000 Euro dafür ausgeben«, sagte sie. Klar sei aber, dass die Abgeordneten in Zukunft ordentlich und ohne Rückenschmerzen sitzen wollen.
Verantwortlich für den ganzen Prozess ist die Bürgerschaftsverwaltung mit dem Vorstand an der Spitze. »Ich halte es für dringend notwendig, das beinahe 50 Jahre alte Gestühl im Plenarsaal nach ergonomischen Ansprüchen zu verbessern«, teilte Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) auf dpa-Anfrage mit. Eine Entscheidung für den diskutierten Aluminiumstuhl sei gar nicht gefallen, seine Anschaffung sei nur eine von mehreren Möglichkeiten. Die vielen Leserbriefe hätten ihn nicht überrascht, sagte der Präsident. »Wenn es um Anschaffungen im öffentlichen Dienst geht, ist es müßig, die Frage zu stellen, ob etwas schief gelaufen ist oder nicht. Kritik der Öffentlichkeit ist quasi programmiert, weil es um Steuergelder geht.« Sein Interesse und das des Vorstandes sei, eine vernünftige und wirtschaftlich vertretbare Lösung zu finden.
Jetzt soll das landeseigene Unternehmen Immobilen Bremen sich um die Stuhlfrage kümmern und das Thema damit erst einmal aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Das Unternehmen behandle diesen Auftrag wie jeden anderen auch, sagte ein Sprecher. dpa/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.