Aufrüstung durch den Westen stürzt die Ukraine ins Verderben
US-Professor John Mearsheimer sieht Russlands Präsidenten als «Vertreter des Realismus» und warnt vor einem Spiel mit dem Feuer der Atomwaffen
«Nicht Wladimir Putin muss etwas tun, sondern der Westen», antwortet Professor John Mearsheimer ohne Zögern auf die Frage des «nd» nach dem russischen Präsidenten. «Der Westen hat versucht, die Ukraine in den Westen zu integrieren und dem russischen Einfluss zu entziehen. Damit ist er für diese Krise verantwortlich und nicht Putin», erläutert der an der Universität Chicago tätige Wissenschaftler. Die Zukunft der Ukraine sieht er zwischen Russland und dem Westen. Als Brückenstaat? «Nein, als ein Puffer.» Das wäre das Modell einer neutralen Ukraine, die von Moskau nicht als Bedrohung verstanden werden kann und hilft, die Beziehungen der Großmächte wieder in Ordnung zu bringen.
Der US-Amerikaner Mearsheimer gilt mit Beiträgen in der «New York Times» und «Foreign Affairs» als renommierter Kritiker der westlichen Ukrainepolitik. An diesem Mittwochabend diskutiert er im überfüllten Salon der Rosa Luxemburg Stiftung in Berlin mit dem Brandenburger Minister Helmuth Markov und dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (beide LINKE). Es geht um die Rolle, die Russland, die USA und die EU im Ukraine-Konflikt spielen.
Einseitigkeit, die alle Schuld Russland zuschiebe, klagt Hunko, verschärfe die Krise. Diese Einseitigkeit ziehe sich durch den ganzen Konflikt bis Minsk. Er nennt den Bruch der von EU-Außenminister im Februar 2014 garantierten Verabredungen mit Präsident Viktor Janukowitsch, die Definition des Konfliktes mit dem Osten als «Terrorismus» oder Sanktionen gegen Russland, ohne zu sagen, wer die Waffenruhe verletze.
Von solcher Einseitigkeit ist Professor Mearsheimer weit entfernt. Russland habe gewarnt, erinnert er, dass es eine Entwicklung der Ukraine hin zum Westen nicht tolerieren werde. Keine Großmacht lasse eine andere vor ihrer Haustür schalten und walten. «Nicht Russland, nicht China und nicht die USA.» Die hätten im Oktober 1962 sogar einen Atomkrieg riskiert, damit die sowjetischen Raketen von Kuba abgezogen werden.
Der Westen habe «die Lage falsch eingeschätzt» und «nicht geostrategisch gedacht». Russlands Präsidenten sieht der Professor aus Chicago hingegen als «Vertreter des Realismus». Ein Maidan in Moskau? Natürlich würden die USA Putin gern loswerden: «Wir wollen ihn so verärgern, dass wir ihn stürzen können.» Das aber sei ein Spiel mit dem Feuer. Auch dem atomaren, da Russland über Tausende derartige Sprengköpfe verfüge. «Wenn Putin in eine verzweifelte Lage gerät, dann sollten wir das nicht vergessen.»
Kritisch sieht Mearsheimer, was die USA «den Einsatz erhöhen» nennen. «Ein großer strategischer Fehler.» Der Krieg weite sich aus, noch mehr Menschen werden getötet, die Beziehungen verschärft. «Wenn der Westen die Ukraine bewaffnet und ausbildet, werden die Russen nicht tatenlos zusehen. Sie werden ihrerseits eskalieren, Waffen schicken und darauf achten, dass die Ukraine die Separatisten nicht besiegt. Putins Botschaft laute,wenn ihr euch nicht zurückzieht, »zerstöre ich die Ukraine als funktionierende Gesellschaft«. Aufrüstung werde das nur beschleunigen: »Der Westen stürzt die Ukraine ins Verderben.«
An den frühen Maidan als eine soziale Bewegung der Unzufriedenheit im Osten und Westen der Ukraine erinnert Minister Markov. Die Hoffnung auf Besserung sei mit der Europäischen Union verbunden worden. Es sei ein »großer Fehler« gewesen, nur über das Abkommen EU-Ukraine nachzudenken und nicht darüber, »welche Beziehungen habe ich zu den Partnern der Partner«.
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