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Es gibt nur eine gemeinsame Lösung
Ulf-Dieter Klemm und Wolfgang Schultheiß sezieren die Krise in Griechenland und deren Folgen
Man wird nicht erwarten können, dass der neunmalkluge Stammtisch diese über 500 Seiten zur Krise in Griechenland liest. Für Politiker und alle, die ernsthaft mitreden wollen, sollte das von Ulf-Dieter Klemm und Wolfgang Schultheiß herausgegebene Buch über die Krise in Griechenland allerdings Pflichtlektüre sein.
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* Ulf-Dieter Klemm/Wolfgang Schultheiß (Hg.): Die Krise in Griechenland. Ursprünge, Verlauf, Folgen. Campus. 546 S., br., 29,90 €.
Die Herausgeber waren zu unterschiedlichen Zeiten Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Athen bzw. dort Kulturreferent. Sie haben hochkarätige, international ausgewiesene Autoren für die 28 Beiträge des Bandes gewonnen - überwiegend griechische Wissenschaftler. Jene repräsentieren die Fachrichtungen Geschichte, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften; mit von der Partie sind Journalisten und Diplomaten. Sie kennen Griechenlands Gegenwart und seine jüngere Geschichte und diskutieren lebhaft die Gründe, Auswirkungen und Lösungsmöglichkeiten der Krise.
Der in Kiel promovierte Wirtschaftswissenschaftler Panos Kazakos zeichnet z. B. die griechische Politik der letzten fünf Jahre nach. Der emeritierte Professor für politische Ökonomie an der Universität Athen fügt seinem in deutscher Sprache verfassten skeptischen Beitrag Tabellen ausgewählter ökonomischer Daten an und hält die Frage, ob die Krise tatsächlich bewältigt werden kann, für offen. Der in Zürich promovierte Soziologe und spätere Professor in Athen Alexandros-Andreas Kyrtsis beschreibt die Auswirkungen der Krise auf die griechische Gesellschaft. Er sieht nur eine europäische Lösung für einen Erfolg der enormen sozialen Anstrengungen. Der Londoner Professor für Wirtschaftswissenschaften Manolis Galenianos wiederum untersucht anhand umfangreichen Zahlenmaterials detailliert die ökonomischen Ursachen der griechischen Wirtschaftsmisere; er stützt sich dabei auf die Quellen Eurostat, IWF und Weltbank.
Andere Beiträge befassen sich mit der griechischen Geschichte seit 1830 sowie mit den außenpolitischen Differenzen zwischen Griechenland und seinen Nachbarn Türkei bzw. Mazedonien. Mehrere Artikel sind der besonderen deutsch-griechischen Problematik gewidmet. Sie befassen sich mit der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg, den Verbrechen während dieser Zeit und den rechtlichen und moralischen Fragen von Reparationsforderungen. Hier ist es insbesondere der Beitrag des Oxforder Historikers und Balkanspezialisten Richard Clogg, der dem deutschen Publikum ans Herz gelegt sei, bevor wieder vollmundige Kritik an den »griechischen Verhältnissen« geübt wird.
Das Buch diskutiert die Alternativen »Grexit« bzw. Staatsbankrott im Euroraum und schließt mit praktischen Ansätzen für eine Überwindung der Krise, die als Chance begriffen werden kann und muss.
Da der Redaktionsschluss des Buches vor den jüngsten Wahlen in Griechenland war, konnte die von »Syriza« ausgehende Zuspitzung der Auseinandersetzung zwischen Griechenland und der »Troika« noch nicht als neue Realität erörtert werden. Die hier ausgebreiteten Basisdaten, die berichtete Qualität der Missverständnisse insbesondere zwischen Griechenland und Deutschland und die skizzierten notwendigen Schritte zu einem Ausweg aus der Krise sind aber dadurch nicht obsolet geworden.
Das Buch wendet sich an ein politisch interessiertes Publikum, das nicht von wissenschaftlicher Terminologie belästigt werden möchte. Man kann diesem »Volltreffer« nur eine möglichst große Verbreitung wünschen.
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