Resilienzbirne und große Ohren

Nikolaus Huhns »Hörender Fußmarsch«: Die Vielfalt Thüringens mit einheimisch-fremdem Blick gesehen

  • Claus Cordt
  • Lesedauer: 3 Min.

Thüringen ist Wanderland. Davon zeugt nicht nur das Rennsteiglied, sondern auch der fuß-rasende Reporter Landolf Scherzer, der die einstige Grenze, den nahen Balkan oder Griechenland erkundete. Quasi mit der Scherzer-Methode wanderte Nikolaus Huhn. Zuhören, nachfragen, fotografieren, aufschreiben und bei allem den eigenen Glauben, der bei Nikolaus Huhn ein umweltgerechtes, katholisch geprägtes Gottvertrauen ist, nicht verleugnen.


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* Nikolaus Huhn: Thüringen in kleinen Schritten. Notizen vom Hörenden Fußmarsch.
Mitteldeutscher Verlag. 304 S., br., m. Farbabb., 16,95 €.


Einst war er Schreiner bei den »Haidhausener Kistlern« zu München, dann »Handwerker am europäischen Haus« in Moskau. Seit gut zwei Jahrzehnten arbeitet er als Energieberater und Fachmann für Wärmedämmung. Als Familienmensch wohnt er in einem immer mal wieder reparaturbedürftigen Haus an der Südostspitze Jenas.

2012 baute Huhn sich einen großen Schub- und Zugwagen, an dem noch größere Ohren aus Pappe hängen und erkundete im April, Mai 2013 seine Wahlheimat. Er wollte hören, was sich tut in Sachen alternativer Energie, wie man auf Stromausfälle vorbereitet ist und was im Lande produziert wird. Was heißt Selbstversorgung, was heißt Nachhaltigkeit und was Resilienz? Letzteres übersetzt er mit Unumstoßbarkeit und verdeutlicht es mit einer großen roten Birne, einem Stehaufmännchen.

Im Buch »Thüringen in kleinen Schritten« berichtet Huhn taggenau von der Expedition, wen er traf, was der sagte, wo er selbst seine Karre in den Dreck fuhr, wie die Bäckerbrötchen schmeckten und welche seltenen Handwerke und Lebens-Modelle man in Thüringen finden kann. Alles hat er mit Hilfe des Internets vorbereitet, bat Bürgermeister und Landräte, Kleinstbetriebe und Parteien um Mithilfe, traf sich abends zum organisierten Gespräch, bei dem er die großen Ohren am Wagen einklappt, die Resilienzbirne und das Mikrofon auf den Tisch stellt. Der Leser erfährt vieles über Landschaften, Sprechweisen, zugezogene Käuze und bodenständige Dickköpfe: die Vielfalt Thüringens mit einheimisch-fremdem Blick gesehen.

Große Betriebe, große Umwälzungen kommen kaum vor, um so mehr versponnene Lebenshelfer, originelle Läden, skurrile Ansichten. Das korrespondiert mit den Sprach-Kräften des Nikolaus Huhn. Er hört auf Wörter, kalauert gern und freut sich, wenn Leute spontan auf seinen komischen Ohrenwagen reagieren.

Zwar geht es bei der Tour auch steil bergauf und geschwind treppab, doch die erzählten und abgelauschten Geschichten ähneln sich ein wenig, das ist immer mittelthüringisches Hügelland. Gelegentlich übertritt Huhn die Landesgrenze, weil in Sachsen auch Öko-Aktivisten hausen. Er bekommt geschenkt, kauft und tauscht bodenständige Lebensmittel; Sein »Hörender Fußmarsch« ist Experimentierfeld für alternative Lebensweisen. Und wenn er ein Schild sieht »Insektenzucht Keck«, so fotografiert er das und unterschreibt es mit »Brutstätte für biblische Plagen«. Denn ein Blick ins Buch aller Bücher ist immer dabei.

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