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Gedachte Erinnerung
Jan Himmelfarb: Vergangenheit aus der Sicht eines Nachgeborenen
Er ist ein Getriebener, ein unermüdlicher Schreiber, stets vom Wunsch durchdrungen, das Erbe der Eltern- und Großelterngeneration festhalten zu müssen. Der Ich-Erzähler Arthur Segal in Jan Himmelfarbs fast vierhundert Seiten starkem Debüt »Sterndeutung« ist ein Gedächtnisbewahrer.
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* Jan Himmelfarb: Sterndeutung. Roman.
C. H. Beck. 394 S., geb., 21,95 €.
Dabei hat er schon in der Gegenwart genügend Probleme: Nachdem er als Kind jüdischer Exilanten und Sowjetbürger vor vielen Jahren in die Bundesrepublik immigrieren konnte, hält er sich und seine kleine Familie um Julia und Tochter Anna mit billigen Übersetzungsjobs über Wasser. Da die Honorare weder für den Tod noch das Leben wirklich genügen, muss er zudem noch in den Autohandel einsteigen.
Und während sich der Alltag - in durchaus detailreicher Breite - zwischen Textarbeit und Vermittlung alter Karossen ins Ausland fortbewegt, treibt ihn die Historie um. Obzwar erst in den letzten Kriegsjahren geboren, träumt er vom Warschauer Ghetto und Judenhinrichtungen. Was er selbst nicht miterlebte, muss er dennoch als Teil seiner Identität begreifen, weil es ihn hätte selbst treffen können. »Die Juden sind es, die Juden einzig und allein sind mein Unglück«. Das martert ihn unentwegt.
Hinzu kommt sein ungestillter Wissensdurst: Wie ein Schwamm saugt er die Erinnerungen seiner Ahnen auf - an die Flucht in Viehwaggons gen Osten, an die grauen Tage im überfüllten Flüchtlingsheim bis hin zur Übersiedlung auf deutsches Gebiet in den 90er Jahren.
Ohne dabei intensive Gedankengänge über Erinnerungsarbeit zu beschreiten, bleiben die Schnipsel eines Jahrhunderts hier indes eher auf der Ebene von Aufzählungen. Der ohnehin langatmig angelegte Roman zieht das Anekdotische dem Reflexiven vor. Er beobachtet, statt zu bewerten und einzuordnen.
Lesenswert mag dieser Erstling dennoch sein. Allem voran, weil er die Hintergründe von Holocaust und Vertreibung aus der Perspektive eines Nachgeborenen beleuchtet und scheinbare Erinnerungen aus Vorstellungen und inneren Bildern schöpft.
Dass Erinnern nicht mit dem Tod von Zeitzeugen endet, lässt sich derweil an immer mehr Neuerscheinungen der zweiten oder dritten Generation nach der Stunde Null beobachten. Neben Katja Petrowskajas gefeierter Erinnerungscollage »Vielleicht Esther« sticht allen voran das Debüt des 1980 geborenen deutsch-israelischen Schriftstellers Ron Segal »Jeder Tag wie heute« hervor. Indem er seinen gealterten Protagonisten zwischen Bildern persönlicher Erlebnisse während der Jahre des Judenpogroms und luziden Phantasmen mäandern lässt, bringt er zum Ausdruck, welche Schwierigkeit sich mit der Wahrung eines kollektiven und individuellen Gedächtnisses verbinden.
Obgleich die epische Tour d‘horizon des 1985 in der Ukraine geborenen Jan Himmelfarb kaum an Segals Konzentration und ästhetische Raffinesse heranreicht, stimmt es in Zeiten von Pegida und wachsender Angst vor dem Fremden einen optimistischen, ja durch und durch versöhnlichen Ton an: »Es gibt einen Sonderfleck auf der Welt, der heißt Deutschland. Kann ich hier leben? Ausgezeichnet.« Solche Sätze machen Mut, geben Zuversicht und zeigen: In weiten Teilen der Republik scheint die Integration erfolgreicher als ihr Ruf zu sein.
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