Die Steine rollen bergab

Alexander Osang erzählt von einer Ostrockband, von Liebe, Leidenschaft und Verrat

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 4 Min.

Januar 1990, die DDR verschwindet. Ostrockerin Nora ist nach New York geflogen, um ihr Leben neu zu erfinden. Sie trifft Roger, den Sänger der Rockband »Trashbag«, und den Gitarristen Gary.

»›Sie hat eine Band. Und ihr Schlagzeuger ist ein Fan von uns‹, sagte Fulton. ›Eine Band. No shit. Wie heißt ihr denn?‹, fragte Gary. ›Steine‹, sagte Nora ›Ssssteune‹, wiederholte Fulton. ›Cool, und was heißt das?‹ ›Stones‹, sagte Nora. ›Wow‹, sagte Fulton. ›Ich weiß‹, sagte Nora.«

Eine Reise ins Begreifen: Was eben, zu Hause, noch groß erschien, ist über Nacht zur Anekdote geschrumpft.


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* Alexander Osang: Comeback. Roman.
S. Fischer Verlag. 287 S., geb., 19,99 €.


In den vergangenen Jahren sind etliche Bücher über das Ableben der DDR und ostdeutsche Existenz danach erschienen. Autoren verschiedener Generationen und gegensätzlicher sozialer Milieus haben ihre Geschichten erzählt, so dass offenbar wurde, was ohnehin niemand annehmen durfte: Das Buch über die DDR und ihr Implodieren kann es nicht geben. Alexander Osang, Jahrgang 1962 und damit etwa so alt wie Nora, hat mit »Comeback« einen Roman über das Schrumpfen verfasst: eines Landes, einer Band, von Ruhm, Bedeutung, Chancen, Leben. Eine universelle Erzählung.

Der zeitliche Rahmen spannt sich von 1982 bis 2014. In nicht chronologischer Reihenfolge erfährt man von den Träumen und vom Scheitern der Protagonisten. Da ist Nora, deren Eltern 1953 aus dem Exil in Buenos Aires nach Stalinstadt kamen und die, um ihre Mutter zu ärgern, bei Bergmann-Borsig Dreherin lernte. Die Mutter: beinharte Ideologin, Verteidigerin der Diktatur eines Proletariats, »das sie im Herzen für dumm wie Bohnenstroh hielt«. Der Gitarrist Alex verliebt sich in Nora, als die schon mit Paul zusammen ist. Jahre nach der Wende wirbt Booker Max bei einem großen Musikproduzenten für die Rockband seiner Jugend und fühlt sich klein, ja murkelig unter dem weiten Berliner Himmel. Die Ostberliner Journalistin Carola hat es nach dem Mauerfall bis zum »stern« nach Hamburg geschafft, doch nun lichtet sich nicht nur ihr Haar, auch die Luft in ihrer Komfortzone wird für sie dünner. Alle hoffen auf die große Comebacktour. Doch die Steine rollen bergab ...

Inhaltlich überrascht der Roman kaum. Wie sollte er? Wenig Neues ist noch zu erfahren, wird doch seit dem Ende der DDR bereits ein Vierteljahrhundert darüber verhandelt. Auch der Fortgang deutsch-deutscher Geschichte bis in die Gegenwart hinein ist vielen Ostdeutschen gegenwärtig. Osang sucht nicht, er bietet dar, was ja durchaus legitim ist. Und doch enttäuscht der Roman, wo er nur bebildert.

So wirkt das Personal wie vom Reißbrett. Die antifaschistische Gründergeneration ist ebenso vertreten wie deren Töchter und Söhne zwischen Nutznieß, Anpassung und Auflehnung, und es fehlt auch nicht die Stasi. Gitarrist Alex hat mit den Offizieren Frank und Bernd zusammengearbeitet, um der Band die Freiräume zu erhalten - Westreisen zu Friedensfestivals. Während der immerhin menschliche, von seiner Frau verlassene Führungsoffizier Frank nach der Wende durchknallt und sich in einem Marzahner Keller verschanzt, den er gegen Spähangriffe mit Alufolie ausgekleidet hat, macht Bernd Geschäfte mit ehemaligen KGB-Kollegen, die nun ukrainische Mafiosi sind. Als Bernd nicht zahlen kann, verpassen ihm Männer mit auf den Arm tätowierten Hakenkreuzen in einem ukrainischen Bordell die finale Abreibung.

Was aber, wenn Osang den Roman für Emma geschrieben hätte? Für Emma, die Tochter von Paul, die zur Wendezeit gerade zwei war? Wenn der Roman Emma erzählen möchte, wie das damals alles war? Ob Emma das wissen möchte?

Wenn »Comeback« auch ein bisschen für Emma ist, dann ist der Roman auf jeden Fall für die Generation des Autors. Der baut seinen Plot in eine reale Kulisse, die der Reporter Osang (»Berliner Zeitung«, »Der Spiegel«) sehr genau kennt und beschreibt. Das Vergnügen des Wiedererkennens. Klar, dass es nicht ihre reale Geschichte ist, aber man denkt an »Silly« und Tamara Danz (1997 erschien von Alexander Osang »Tamara Danz. Legenden«). Straßen und Kneipen erwachen zum Leben. Poetische Bilder gelingen, wie das von den »schönen gläsernen Bungalows«, die nachts auf den »leeren breiten Bürgersteigen, die die Architekten der Stalinallee für die flanierende Arbeiterklasse angelegt hatten …, wie Schneewittchensärge« standen.

Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches erzählt Osang, was fünfundzwanzig Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch aus den Protagonisten geworden ist. Beim Abschiedskonzert der Comebacktour sind die Fans »hüpfende alte Männer«, die sich das Gefühl der Rebellion zurücksingen, »traurige Abrissbirnen in gebügelten Jeans«. Auch dort, wo Osang Personen und Situationen satirisch überzeichnet, weht Vergeblichkeit durch die Zeilen: Man ist nicht jünger und die Welt nicht besser geworden.

Los Angeles, 2014. Emma, süße siebenundzwanzig, hat ihren schönen Schauspieler-Lover verlassen, einen Hohlkörper. Kein Glück, nirgends. So beginnt der Roman. Er endet 1994 in Brandenburg an einem Lagerfeuer, Emma wird sieben: » … sie kann sich gerade vorstellen, dass alles wieder gut wird. So gut wie früher.« Wirklich? Wir wissen es längst besser.

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