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Zurück in das Land, das uns töten wollte

Andrea von Treuenfeld lässt jüdische Frauen über ihr Leben und eine überraschende Entscheidung erzählen

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Mehr als einmal fragte ich meine Großmutter, warum sie nach vielen Jahren des Exils aus Chicago nach Deutschland zurückgekehrt sei. Je mehr wir in der Schule über die Nazizeit lernten, desto schwerer konnte ich nachvollziehen, was eine Jüdin wieder in das Land führte, dass sie töten wollte. Zumal viele ihrer Freundinnen, Cousinen und auch ihre Stieftochter in den USA nie wieder einen Fuß in die alte Heimat setzen wollten, die längst schon keine Heimat mehr war, und die sie so grausam verraten hatte. »Ich behalte meinen amerikanischen Pass«, sagte sie, »und meinen amerikanischen Namen«. Aber sie erklärte mir, dass sie nun Witwe sei, und ihre Schwester, die nach Toronto geflohen war, lebte nicht mehr, ihr einziger Sohn, mein Vater, bliebe nun mal mit seiner Familie in Deutschland. Sie mochte, obwohl bestens integriert und eng vernetzt in ihrem geliebten neuen Land, »nicht allein« sein.

Meine Großmutter wurde 1908 geboren und war damit eine Generation älter, als die meisten der von Andrea von Treuenfeld befragten Frauen. Diese waren meist noch Kinder, als sie auswanderten, und ihre Re-Migration entpuppte sich für sie eher als Immigration. Das hat es ihnen nicht leichter gemacht, und die autobiografischen Texte zeugen von der Suche nach Halt und Zuhause: bei jenen, die auf eigenen Wunsch zurückkamen, wie auch bei denen, die ein weiteres Mal ihren Eltern folgten, ihre Ehe nicht riskieren wollten oder vom »Gelobten Land« - meist Israel - bitter enttäuscht waren. Es sind berührende kleine (Selbst)Porträts von Frauen, die entwurzelt aus einem Land in ein anderes - manchmal auch mehrere andere Länder - zogen und ein ums andere Mal vor neuen Schranken standen. In ihrer neuen Heimat stießen sie nicht selten auf mehr oder weniger offenen Antisemitismus oder wurden - beispielsweise in Palästina - in neue Kriege verwickelt. Sie mussten eine neue Sprache lernen. Sie mussten damit fertig werden, aus einer privilegierten Stellung ans untere Ende der Gesellschaft abzurutschen. Schließlich zurück in Deutschland lernten sie zu schweigen, weil sie spürten, hier nicht darüber sprechen zu können, warum sie gegangen waren. Entweder aus Angst vor den alten und neuen Nazis, die es hier immer noch gab (und gibt), oder weil sie nicht mit dem Etikett »Flüchtling« ein wiederum neues Leben in einem alten neuen Land starten wollten.

Die Frauen in Treuenfelds Anthologie haben ihre eigenen Geschichten. Sie stehen aber auch für alle Flüchtlinge und (Re-)Migrantinnen der Welt. Ihre Berichte sind, nicht zuletzt weil die Herausgeberin sie bewusst stilistisch nicht überarbeitet hat, ungeheuer vielfältig und intensiv. Was sie eint, ist der Mut, sich über das hinwegzusetzen, was meine amerikanische Omi, und mehr noch die in den 1920er und 1930er Jahren geborene Generation der Töchter und Söhne als trauriges Lebensmotto nach 1945 verinnerlicht hatten: »Sprich lieber nicht darüber; wer will das denn heute noch wissen?« Falsch fand ich das immer schon. Was, wenn nicht das Zeugnis des persönlich Erlebten lässt denn die Menschen verstehen, was sie einander antun?

Andrea von Treuenfeld: In Deutschland eine Jüdin, eine Jeckete in Israel. Geflohene Frauen erzählen ihr Leben. Gütersloher Verlagshaus. 240 S., geb., 22,99 €.

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