Der nächste Knall rückt näher
Conrad Schuhler über die Rekordjagd an den internationalen Aktienmärkten und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank
Der Deutsche Aktienindex (DAX) schoss diese Woche mehrfach durch die 12 000er Decke. Der große Bruder, der Dow Jones, hat den Rekord von 18 000 Punkten erklommen. Deutsche Aktienberater malen ein DAX-Ziel von 15 000 bis Mitte des Jahres an die Wand. Nach dem Sprung in der ersten beiden Monaten um fast 20 Prozent noch mal ein Satz von 25 Prozent. Damit hätten die Besitzer von DAX-Aktien ihr Vermögen schon im ersten Halbjahr 2015 um fast die Hälfte erhöht. Woran liegt das? Haben sich die volkswirtschaftlichen Fundamentaldaten verändert?
Das Wachstum bleibt niedrig. Zwar fällt der Eurokurs, womit die Exportpreise billiger werden, doch wachsen auch die Exportmärkte nicht im alten Tempo. Das einzige, das sich wirklich fundamental verändert hat, ist die von der Europäischen Zentralbank (EZB) gesteuerte Geldmenge. Die EZB ist dabei, einen gewaltigen Ankauf von Vermögenswerten umzusetzen. Bis Ende September 2016 will die EZB monatlich 60 Milliarden Euro für »Vermögenswerte«, genauer gesagt für Staatsanleihen, ausgeben.
Das sind über eine Billion Euro zusätzliches Geld gegenüber einem Gesamtwirtschaftsprodukt der Euroländer von rund 9,5 Billionen. Die Geldmenge steigt um rund zwölf Prozent des Werts des Gesamtproduktes, das selbst kaum verändert wird. Die logische Folge nach alter Lehrbuchweisheit wäre eine galoppierende Inflation. Eine solche Inflation wird in der Tat mit Sicherheit eintreten. Wenn auch zunächst nicht auf dem allgemeinen Warenmarkt, sondern auf einem speziellen: dem der Vermögenspreise. Denn das Geld kommt weder beim Otto Normalverbraucher an, der in der Regel kein größeres Aktiendepot aufzuweisen hat, noch beim Otto Normalunternehmer, dem fehlt es ja nicht an billigem Geld, sondern an der Nachfrage nach seinen Produkten. Das zusätzliche Geld fließt in den Finanzraum der Vermögenswerte. Es wird deren Preise weiter nach oben treiben und die Blasenbildung bei Wertpapieren und Grundstücken anfeuern.
Ein besonders schwaches Gegenargument hat die EZB in die Auseinandersetzung um den Preisanstieg eingebracht. Die EZB erwerbe die Staatsanleihen erst dann, wenn sich bereits ein Marktpreis gebildet habe (keine Ankäufe am Primärmarkt). Dadurch sei sichergestellt, dass die EZB die Risikobewertung am Markt nicht verzerre. Das ist absurd, da die Primärkäufer ihre Ankäufe nur tätigen, weil sie wissen, dass die EZB sie ihnen abkauft. Natürlich treibt dieses Verfahren die Preise.
Was ist schlecht an der Erhöhung der Vermögenspreise? Zunächst wird das allgemeine Preisniveau davon inflationär beeinflusst, weil die Vermögenden ihren Reichtumszuwachs mit mehr Nachfrage nach Luxusgütern zur Geltung bringen. Die Luxusnachfrage zieht die Preise auf den meisten Sektoren mit nach oben, vom Tourismus über Fahrzeuge bis zur medizinischen Versorgung. In einem Bereich wird der Auftrieb auch für die Massennachfrage relevant: bei den Mieten. Denn der Vermögenswert Häuser/Grundstücke wird hochgetrieben und über die Mieten höher verzinst.
Sodann wird das zentrale Problem des neoliberalen Kapitalismus zugespitzt, nämlich das der wachsenden Ungleichheit der Vermögen und Einkommen. In Deutschland hat der Gesamtwert der Privatvermögen (schuldenfreie Immobilien-, Geld- und gewerbliche Vermögen) 2010 das Vierfache des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht. Bei einer mageren Kapitalrendite von zehn Prozent müssten schon 40 Prozent des jährlichen Volkseinkommens an die Vermögenden abgeführt werden, bevor der erste Cent für den Rest der Bevölkerung und für staatliche Aufgaben ausgegeben werden könnte. Schon heute fließen in den reichen Ländern 25 bis 31 Prozent des Volkseinkommens an die Kapitaleinkommensbezieher. Dieser Anteil würde sich nach den Berechnungen von Thomas Piketty bis 2030 etwa verdoppeln.
Die galoppierende Ungleichheit ist das Haupthindernis jeder sozialen, fortschrittlichen Politik. Sie wird nicht zu ändern sein durch Appelle an die, die von der Ungleichheit profitieren. Nur durch die Aktion derer, die darunter leiden.
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