Was weiter verdrängt wird, kommt immer wieder zurück

Keinen Cent an Griechenland? Petition und Offener Brief stemmen sich der Mehrheit der Gegner einer Wiedergutmachung für erlittenes NS-Unrecht entgegen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer sich hinter dem Nutzernamen »Papa Eule« verbirgt, ist nicht bekannt. Was das Pseudonym zu der Online-Petition »Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts« zu sagen hat, dürfte allerdings in nicht wenigen Köpfen herumgeistern: »Keinen Cent an Griechenland!«, keilt »Papa Eule«, Jahrgang 1971, gegen die Forderung der Petenten nach umfangreichen Wiedergutmachungsleistungen durch Deutschland an Griechenland - die »großmäulige Athener Regierung« versuche »nach 70 Jahren die Nazi-Keule auszupacken, um uns Geld abzunötigen«. Wer das anders sehe, habe »ein behandlungsbedürftiges Trauma der Gutmenschen«.

Nun vertreten sicher nicht alle Gegner der griechischen Forderung nach Reparationen und Entschädigungen für erlittenes Nazi-Unrecht solche Positionen wie »Papa Eule«. Von einer breiten Unterstützung für Wiedergutmachung kann aber auch keine Rede sein. Schon vor einer Woche zeigte eine Umfrage, dass die Mehrheit der Bundesbürger gegen Entschädigungen für die im Zweiten Weltkrieg begangenen verheerenden Verbrechen der Nazibesatzer sind: Gegenüber den Demoskopen von Emnid lehnten 71 Prozent Reparationen ab - 20 Prozent sprachen sich dafür aus.

Ende der vergangenen Woche erbrachte eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ein ganz ähnliches Ergebnis: 78 Prozent sagten hier Nein in der seit Wochen schon anhaltenden Debatte, in der die kompromisslose Absage der Bundesregierung offenbar ihren Niederschlag in den Köpfen gefunden hat. Zwar zeigen sich dabei auch Unterschiede zwischen den Anhängern der jeweiligen Parteien – die Front der Ablehnung ist aber übergreifend groß.

Lediglich bei den Wählern der Grünen sagen »nur« 50 Prozent Nein zu der hierzulande von Juristen und Oppositionspolitikern unterstützten Forderung nach Wiedergutmachung. 86 Prozent der Unionsanhänger, 74 Prozent der SPD-Wähler und auch 64 Prozent der Anhängerschaft der Linkspartei sprach sich in der Umfrage dagegen aus. Insgesamt nur 15 Prozent unterstützten die Forderung, die auch von der SYRIZA-geführten Regierung erhoben wird.

Warum? Es sind sicher nicht nur die Ablagerungen der aktuellen Diskussion über Krisenpolitik und Kreditprogramm, die - angefeuert von mehr oder weniger offenen Diffamierungen der Griechen - sich im mehrheitlichen Nein bemerkbar machen. Ebenso wenig wird man davon ausgehen dürfen, dass der breite Widerstand in dieser Frage auf überzeugenden juristischen Argumenten beruht. Dass die Bundesregierung alle Reparationsfragen für abgeschlossen betrachtet, ist unter Experten ohnehin umstritten. Rolf Surmann hat in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift »konkret« dazu noch einige Anmerkungen beigetragen, die bisher in der Debatte zu wenig geläufig waren.

Es zeigt sich im kollektiven Nein zu Reparationen auch der Nachhall einer schon länger existierenden Abwehr von historischer Verantwortung. Für die Studie »Deutschland und Israel heute« waren im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung unlängst Daten aus mehreren Erhebungen ausgewertet worden - mit dem Ergebnis, dass viele Bundesbürger von Nazi-Verbrechen wie dem Holocaust heute nicht mehr viel wissen wollen. Man betrachtet die Vergangenheit gewissermaßen als »erledigt«. Eine große Mehrheit von 77 Prozent der Befragten stimmte etwa der Aussage zu, »man sollte die Geschichte ruhen lassen und sich gegenwärtigen oder zukünftigen Problemen widmen«.

Dieser Gedanke findet sich auf seine Weise auch in der Argumentation der Bundesregierung, mit der diese auch die Forderungen aus Athen zurückweist, wenigstens über die Frage der Rückzahlung des 1941 von den Nazis abgepressten Zwangskredits zu reden. Zum Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland erklärte die Bundesregierung immer wieder: »Im Vordergrund der Beziehungen stehen Zukunftsfragen.«

Das sehen die Unterstützer der Petition »Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts« anders. »Mit Schweigen, juristischen Tricks und Verzögerung hat sich Deutschland jahrzehntelang vor der Leistung notwendiger Reparationszahlungen und der Rückzahlung der Zwangsanleihe gedrückt«, heißt es da zur Begründung. Doch auch wenn das Experten und Teile der Opposition auch so sehen, fand das Begehr der Petition bisher kaum Gehör - und noch weniger Unterstützter.

Inzwischen gibt es auch einen Offenen Brief an Angela Merkel, der unter anderem von den linken Politikwissenschaftlern Elmar Altvater, Wolf-Dieter Narr, Annegret Falter und Birgit Mahnkopf sowie vom früheren Bundesrichter und Ex-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Neskovic unterzeichnet wurde und die Frage der Rückzahlung des Zwangskredits in den Mittelpunkt stellt. Die Kanzlerin solle darauf hinwirken, »dass die Bundesregierung ihre bisherige Haltung zur Frage der offenen Schulden gegenüber den Griechen aufgibt«, fordert der Brief, der unter anderem von dem Berliner Piraten-Politiker Martin Delius initiiert wurde.

Also Rückzahlung, Wiedergutmachung? Deutschland sei »als Schuldverursacher nicht nur aus juristischen, sondern auch aus moralischen und politischen Gründen dazu verpflichtet«, heißt es weiter. Diese moralische Dimension hat auch Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seinem Merkel-Besuch über die materielle Frage des »Wieviel« gestellt.

An der schroffen Ablehnung in Berlin hat das nichts geändert. Doch wie heißt es in dem Offenen Brief an Merkel zu Recht? »Was weiter verdrängt wird, kommt immer wieder zurück.«

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