Athen stellt Renten und Gehälter über IWF-Rückzahlung

Einverständnis soll Zahlungsausfall vermeiden / Tausende Rentner demonstrieren für höhere Bezüge / Innenminister drängt auf Zahlungen aus Kreditprogramm / Autonome protestieren vor Athens Parlament: Aktion gegen Hochsicherheitsgefängnisse

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Update 17.40 Uhr: Tausende griechische Rentner haben für eine Erhöhung ihrer Altersbezüge auf das Niveau vor der Finanzkrise demonstriert. An die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras appellierten sie am Mittwoch, dieses Wahlversprechen zu erfüllen. Allein in Athen gingen nach Medienberichten rund 3.000 Menschen auf die Straßen. Sie blockierten eine der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt mehr als zwei Stunden lang. Auch in anderen Städten strömten Rentner auf die Straßen, berichtete das Staatsfernsehen. Der linke Regierungschef Tsipras hatte während des Wahlkampfes diese Erhöhungen versprochen. Zurzeit bereitet die Regierung eine gesetzliche Regelung für die Zahlung einer dreizehnten Rente (Weihnachtsgeld) vor. Die Rentnerproteste waren die ersten größeren Kundgebungen gegen die Regierung Tsipras seit dem Wahlsieg am 25. Januar.

Update 17.15 Uhr: Säumige griechische Steuerschuldner haben dem Staat nach Angaben des Finanzministeriums in Athen in den vergangenen Tagen insgesamt 147 Millionen Euro an ausstehenden Steuern nachgezahlt. Mehr als 150.000 Steuerzahler hätten von einem Programm zur Regelung von Steuerschulden Gebrauch gemacht, erklärte das Finanzministerium am Mittwoch. Dabei hätten sie teilweise bis in die 70er Jahre zurückreichende Schulden beglichen. Normalerweise liege die Wahrscheinlichkeit, derart alte Steuerschulden einzutreiben »nahe Null«, betonte das Ministerium. Um die Bürger zur Zahlung zu locken, hatte die Regierung vor wenigen Tagen ein Gesetz verabschiedet, das Bürgern und Unternehmern mit Rückständen bei Steuerzahlungen und Zahlungen an die Sozialkassen erhebliche Erleichterungen gewährt. Sie können ihre Steuerschulden jetzt beispielsweise in hundert Raten zurückzahlen. Säumniszuschläge fallen nicht an. Die Außenstände bei den Steuerzahlungen belaufen sich nach Angaben der griechischen Regierung auf 76 Milliarden Euro. Die griechische Regierung hofft, maximal neun Milliarden davon noch eintreiben zu können.

Update 16.45 Uhr: Der griechische Innenminister Nikos Voutzis hat angekündigt, dass die SYRIZA-geführte Regierung in Athen eine Verschiebung für eine im April fällige Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragen werde, falls bis dahin nicht die ausstehende Zahlung aus dem laufenden Kreditprogramm erfolgt. In deutschen Medien hieß es, »Athen droht mit Zahlungsstopp« - tatsächlich setzt die Regierung lediglich andere Prioritäten: »Wenn bis 9. April kein Geld fließt, werden wir zuerst die Gehälter, Renten und Pensionen hier in Griechenland zahlen und bitten dann unsere Partner im Ausland um Einvernehmen und Verständnis, dass wir die 450 Millionen Euro an den IWF nicht pünktlich zahlen werden«, sagte Voutzis dem »Spiegel« laut einer Vorabmeldung. Sollte Griechenland die am 9. April fällige Zahlung nicht leisten, wäre dies ein Verstoß gegen die IWF-Satzung. »Das Geld reicht noch bis Mitte April«, sagte der Syriza-Politiker. Die Verschiebung der 450 Millionen Euro umfassenden Zahlung an den IWF solle »im Einverständnis geschehen, damit kein Zahlungsausfall eintritt.«

Eine erste Tranche der gut sieben Milliarden Euro, die noch in dem aktuell verlängerten Kreditprogramm festgeschrieben sind, könnte aber frühestens Ende Mai fließen, sagte Voutzis - wenn die Reformliste von den Gläubigern akzeptiert und in Athen auf den Weg gebracht worden seien. Daher versuche die Regierung zur Zeit, Geld aus anderen Töpfen zu bekommen. »Wir möchten weiter die 1,2 Milliarden Euro aus dem europäischen Rettungsfonds EFSF zurück, die wir versehentlich überwiesen haben«, sagte Voutzis. »Wir möchten die 1,9 Milliarden Euro aus dem Bankenrettungsfonds, die seit Monaten zurückgehalten werden«. Das Geld kommt aus den Gewinnen des Anleihekaufprogramms SMP der (EZB).

Update 14.15 Uhr: Die EU-Kommission hat zurückhaltend auf die Ankündigung des griechischen Premiers Alexis Tsipras reagiert, die Beziehungen zu Russland zu verbessern. »Es ist klar, dass Russland keine Alternative für Griechenland ist«, sagte EU-Währungskommissar Pierre Moscovici der portugiesischen Zeitung »Diário de Notícias«. Griechenlands Platz sei in der Eurozone mit 18 weiteren EU-Staaten, betonte der französische Kommissar. Zu den öffentlich geäußerten Zweifeln von Tsipras an westlichen Russland-Sanktionen verwies eine Sprecherin Moscovicis auf die Erklärung des EU-Gipfels von Ende März. Die Linie lautete damals, dass die EU-Wirtschaftssanktionen voraussichtlich bis Ende des Jahres verlängert werden sollen. »Uns ist nicht bekannt, dass irgendeine Regierung in diesem Hinblick ihre Haltung verändert hat«, so die Sprecherin.

Update 14 Uhr: Rund 20 Demonstranten aus der linken Szene haben die Absperrungen der griechischen Polizei vor dem Parlament in Athen durchbrochen und sind vor den Eingang des Gebäudes gelangt. Sie hätten lautstark die Schließung von Hochsicherheitsgefängnissen gefordert, berichteten griechische Radio- und Fernsehsender am Mittwoch. Zudem verlangten sie die Freilassung aus Gesundheitsgründen eines zu mehrfacher lebenslänglicher Haftstrafe verurteilten Militanten. Anschließend seien die Demonstranten ohne weitere Zwischenfälle abgezogen. Autonome halten seit einigen Tagen mit gleichen Forderungen mehrere Universitätsgebäude besetzt. Die griechischen Oppositionsparteien werfen dem linken Regierungschef Alexis Tsipras vor, »zu sanft« mit den Autonomen umzugehen.

Update 13 Uhr: Die Europaabgeordnete Ska Keller hat die EU aufgefordert, die griechische Regierung bei ihren Reformvorhaben nicht länger auszubremsen. Der griechische Premier Alexis Tsipras sei vertrauenswürdig. Er wolle die notwendigen Maßnahmen ergreifen. »Die Frage ist eher, ob er es gegen all den Widerstand schaffen wird«, schreibt Ska Keller in einem Gastbeitrag in »nd«. Die Vize-Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament zeigt Verständnis dafür, dass die neue Regierung die bisherige Art der Reformen unter der Troika in Frage stellt. »Die Entlassungen und Lohnkürzungen haben zu einem Einbruch der Einnahmen bei Steuern und Sozialabgaben geführt. Die Wirtschaft kam nicht in Schwung. So kann es nicht weitergehen«, schreibt Keller. Die Regierung Griechenlands müsse nun »den alten Klientelismus aufbrechen, ein gerechtes Steuersystem schaffen, in Köpfe investieren und die Wirtschaft ökologisieren«. Die Reformen brauchten jedoch Zeit. »Diesen Spielraum sollten wir der Regierung Tsipras zugestehen«, so Keller. Griechenland könne dann auch den Anfang bei Reformen für ganz Europa machen, die die Grünen-Politikerin in Fragen der Besteuerung und Wirtschaftsankurbelung sieht. »Der Erfolg oder Misserfolg wird sich zu großen Teilen in Griechenland selbst entscheiden, denn keine Veränderung läuft ohne Widerstände ab. Als Europäerinnen und Europäer sind wir aber in der Verantwortung, Europa nicht am Primärüberschuss und dem Auftreten der Troika zerbrechen zu lassen.«

Update 9.10 Uhr: Die SYRIZA-geführte griechische Regierung in Athen rechnet in den Verhandlungen mit den internationalen Gläubigern mit einer zügigen Einigung über die Reformliste. »Ich halte es für sicher, dass wir kommende Woche abschließen werden«, sagte am Mittwoch Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis im griechischen Fernsehen. Am Vorabend hatte Regierungschef Alexis Tsipras bei einer Sondersitzung seine für Finanzen zuständigen Minister aufgefordert, die Kooperation mit den Vertretern der Gläubiger zu intensivieren. Wie die griechische Presse übereinstimmend weiter berichtete, bemängeln die, dass viele Ministerien seit Wochen keine Kooperationsbereitschaft zeigen und keine belastbaren Fakten vorlegen. Am Mittwochnachmittag sollte sich die Arbeitsgruppe der Eurogruppe mit dem Thema Griechenland befassen.

Update 8 Uhr: Die Chefin der europäischen Bankenaufsicht, Danièle Nouy, hat sich positiv zur Lage der griechischen Banken geäußert. Deren Situation sei »besser« als noch vor wenigen Jahren, sagte Nouy am Dienstag in Brüssel vor dem Europaparlament bei der Vorstellung des Jahresberichts ihrer Aufsichtsbehörde. Griechische Banken seien »noch nie so gut« für eine schwierige Phase »gewappnet« gewesen wie derzeit. Die Fortschritte würden allerdings durch die »politische Unsicherheit« in Griechenland »überschattet«. Es sei wichtig, dass im Fall Griechenlands »schnell« Lösungen gefunden würden. Unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) überwacht die Aufsicht die rund 120 wichtigsten Banken der Eurozone. Anfang November 2014 nahmen Nouy und ihre Kollegen die Arbeit offiziell auf. Zuvor hatte die Bankenaufsicht die Kreditinstitute der Eurozone und einiger Nicht-Euro-Länder etwa zwölf Monate lang auf Herz und Nieren geprüft und sie einem Stresstest unterzogen. Den Stresstest hätten die griechische Banken »relativ gut« überstanden, sagte Nouy. Auch dies unterstreiche ihre Solvenz. Die Geldhäuser in Griechenland stehen unter Druck, da viele Bürger ihr Erspartes aus Angst vor einer Verschärfung der Krise oder dem Ausstieg ihres Landes aus dem Euro abheben. Zudem akzeptiert die EZB seit Mitte Februar keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheiten für Kredite. Deswegen müssen sich die griechischen Banken nun über das Notkreditprogramm der Zentralbank (ELA) bei ihrer einheimischen Notenbank mit Geld versorgen. Die ELA-Kredite haben vergleichsweise schlechte Konditionen.

Athen hofft auf Energie aus Russland

Berlin. Die SYRIZA-geführte Regierung in Griechenland will in Energiefragen enger mit Russland zusammenarbeiten. Bei einem zweitägigen Besuch in Moskau habe er mit den russischen Partnern über die geplante neue Turkish-Stream-Pipeline sowie über die Suche nach fossilen Energieträgern beraten, sagte Energieminister Panagiotis Lafanzanis am Dienstag in Athen. Griechenland sei »stark daran interessiert«, die geplante türkisch-russische Gaspipeline bis nach Griechenland auszubauen. Lafazanis sagte, russische Unternehmen seien eingeladen, sich an einer Ausschreibung für die Erkundung von Öl- oder Gasfeldern in der Ionischen See und auf Kreta zu beteiligen. Die Frist dafür sei um zwei Monate bis Juli verlängert worden. Der Minister bezeichnete den Schritt als »bahnbrechend«, da sich russische Unternehmen normalerweise nicht an Ausschreibungen in der EU beteiligten.

Athen will neue Beziehungen zu Moskau
Tsipras: Nach »frostigem Verhältnis« soll »Frühling« folgen / Debatte über Krisenpolitik und Kreditprogramm im griechischen Parlament / SYRIZA-Chef: Es wird keine Diskussion über ein drittes »Memorandum« geben - der Newsblog vom Dienstag zum Nachlesen

Am 8. April reist Ministerpräsident Alexis Tsipras nach Moskau. Am 9. Mai nimmt er an den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Kriegsendes in der russischen Hauptstadt teil. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der britische Premierminister David Cameron und Frankreichs Staatschefs François Hollande sagten angesichts der Ukraine-Krise dagegen ab.

Nach einem früher »frostigen Verhältnis« strebe er in den bilateralen Beziehungen einen »Frühling« an, sagte Premier Alexis Tsipras in einem am Dienstag in Moskau veröffentlichten Interview der russischen Agentur Tass - unter anderem unter Verweis auf die Geschichte. »Unsere Nationen hatten brüderliche Beziehungen geschmiedet, als sie in einem kritischen historischen Augenblick einen gemeinsamen Kampf führten«, sagte der Regierungschef mit Blick auf den Widerstand gegen Nazi-Deutschland. Der Jahrestag der Befreiung vom Faschismus habe für die Menschen in beiden Ländern eine große Bedeutung.

Laut Tsipras geht es beim Verhältnis zur Russland für Athen unter anderem um den Export von landwirtschaftlichen Produkten, die derzeit von einem russischen Einfuhrstopp wegen der Ukraine-Krise nicht geliefert werden können. Die so entstandenen Verluste der griechischen Wirtschaft werden auf rund 430 Millionen US-Dollar geschätzt. Tsipras sprach zudem von engeren kulturellen Beziehungen sowie dem Tourismus und der Kooperation im Energiebereich.

Die Bundesregierung reagierte auf Tsipras Ankündigung gelassen. »Wir waren ja auch schon in Moskau«, sagte Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag, und verwies darauf, dass man dort europäische Interessen vertreten habe. Agenturen/nd

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