Bewaffnete stürmen Büro von Erdogan-Partei
Motive zunächst unklar / Polizei beendet Geiselnahme der linksradikalen DHKP-C in Istanbuler Justizgebäude gewaltsam: Staatsanwalt erliegt Verletzungen
Update 11.50 Uhr: Zwei bewaffnete Männer haben am Mittwoch ein Büro der türkischen Regierungspartei AKP in Istanbul gestürmt. Laut Medienberichten schlugen die Angreifer ein Fenster in der obersten Etage des siebenstöckigen Gebäudes im asiatischen Teil von Istanbul ein und hängten eine mit einem Schwert bedruckte türkische Fahne heraus. Die Polizei zog Einsatzkräfte vor dem Gebäude zusammen; auch Krankenwagen fuhren auf. Über die Motive der Täter war zunächst nichts bekannt. Die von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegründete islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) regiert die Türkei seit Ende 2002. Derzeit bereitet sich die AKP wie die anderen türkischen Parteien auf die am 7. Juni anstehende Parlamentswahl vor.
Polizei beendet Geiselnahme in Istanbuler Justizgebäude gewaltsam:
Istanbul. Die Polizei in Istanbul hat die Geiselnahme eines Staatsanwalts durch Linksradikale nach neun Stunden gewaltsam beendet. Die beiden Geiselnehmer seien bei dem Einsatz im zentralen Justizgebäude der türkischen Metropole am Dienstagabend getötet worden, sagte Istanbuls Polizeichef Selami Altinok. Der Staatsanwalt erlag am späten Dienstagabend in einem Istanbuler Krankenhaus seinen Verletzungen, wie der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärte. Er sprach der Familie des Opfers sein Beileid aus. Der Staatsanwalt war Ankläger in dem politisch bedeutenden Fall Berkin Elvan.
Der Jugendliche Berkin Elvan war bei den Gezi-Protesten im Sommer 2013 von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen und tödlich verletzt worden. Die verbotene DHKP-C bekannte sich zu der Geiselnahme vom Dienstag. Altinok sagte, die Polizei habe sechs Stunden verhandelt. Die Sicherheitskräfte seien eingeschritten, als aus dem Büro des Staatsanwaltes Schüsse ertönt seien. Wie der Staatsanwalt lebensbedrohlich verletzt wurde, blieb zunächst unklar.
Davutoglu sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu weiter, für die Regierung sei die Geiselnahme auch ein Angriff auf die türkische Justiz und Demokratie. Die Täter seien inzwischen identifiziert worden. Sie seien 24 und 28 Jahre alt gewesen.
Die DHKP-C hatte mit der Ermordung des Staatsanwaltes gedroht. Sie forderte ultimativ, die Polizisten, die für den Tod Berkin Elvans verantwortlich seien, müssten ein öffentliches Geständnis ablegen. Ermittlungen gegen Demonstranten, die wegen des Todes Berkin Elvans protestiert hatten, müssten eingestellt werden.
Der Vater Berkin Elvans, Sami Elvan, teilte während der Geiselnahme über Twitter mit, er wolle nicht, dass jemand zu Schaden komme. »Ich will nur einen gerechten Prozess«, schrieb er. Auf der Facebook-Seite der DHKP-C war zu sehen, wie dem geknebelten Staatsanwalt eine Pistole an den Kopf gehalten wurde. Unklar blieb, wie die bewaffneten Geiselnehmer in das gesicherte Justizgebäude eindringen konnten.
Berkin Elvan war im Sommer 2013 ins Koma gefallen und im März vergangenen Jahres im Alter von 15 Jahren gestorben, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Die Ermittlungen in dem Fall haben bisher keine Fortschritte gemacht.
Die Rundfunkbehörde RTÜK verhängte am Dienstag auf Veranlassung der Regierung eine Sperre für die Fernsehberichterstattung über die Geiselnahme. Als Grund wurde die nationale Sicherheit genannt.
Die DHKP-C hatte im Januar die Verantwortung für einen Anschlag in Istanbul übernommen, mit dem angeblich der Tod von Berkin Elvan gerächt werden sollte. Die DHKP-C steht in der Türkei, in der EU und in den USA auf der Terrorliste. Die Gruppe hatte sich im Februar 2013 zu einem Selbstmordanschlag auf die US-Botschaft in Ankara bekannt. Damals riss der Attentäter einen Wachmann mit in den Tod.
dpa/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.