Werden 18 Millionen Jobs wegdigitalisiert?
Studie von Volkswirten: Technologische Entwicklung könnte bis zu 59 Prozent der Stellen betreffen / IG-Metall-Chef Wetzel: Gefahr ist groß, dass viele Menschen auf der Strecke bleiben
Berlin. Die fortschreitende Digitalisierung und der zunehmende Einsatz von Robotern könnten in Deutschland in den nächsten Jahren bis zu 18 Millionen Beschäftigte betreffen - ihre Arbeit wird dann womöglich von Maschinen übernommen. Wie die »Welt« unter Berufung auf Berechnungen von Volkswirten der Bank ING-Diba schreibt, könnten 59 Prozent der Stellen gefährdet sein. Dies ist deutlich mehr als die 47 Prozent, die in einer 2013 erschienenen Ursprungsstudie von Carl Frey und Michael Osborne für die USA berechnet worden war - die Volkswirte verweisen zur Erklärung auf das größere Gewicht der Industrie in Deutschland.
Frey und Osborne hatten in einer viel beachteten Arbeit dargelegt, dass »die meisten Arbeitnehmer in Transport- und Logistikberufen, dazu ein Großteil der Büroangestellten sowie die Arbeit in Produktionsberufen« durch die fortschreitende Digitalisierung und neue Wellen der Automatisierung auf dem Spiel stehen. Sie hatten die Aussichten für rund 700 Berufe prognostiziert, dass Beschäftigte durch Software und neue Roboter ersetzt werden. Diese Studie wurde nun auch - wie zuvor schon für andere Länder - auf Deutschland übertragen.
»Das Risiko von Kollege Computer ersetzt zu werden variiert allerdings je nach Spezialisierung, Karrierestufe und Beruf erheblich«, heißt es dazu in der »Welt«. In einigen Berufsgruppen wie etwa bei Sachbearbeitern liegt die Wahrscheinlichkeit mit 86 Prozent viel höher als bei Mechanikern oder im Einzehlandel, wo das Risiko mit etwa zwei Dritteln berechnet wurde. Je geringer die Qualifikation, desto höher die Wahrscheinlichkeit, ersetzt zu werden, fasst die Zeitung die Ergebnisse der ING-Diba-Studie zusammen.
Am meisten durchschlagen könnte der zunehmende Einsatz von Computern und Robotern bei den Büro- und Sekretariatskräften, wo 1,9 Millionen Stellen wegfallen könnten. Auch unter unter Hilfskräften in Lagern und bei Post- und Zustelldiensten seien 1,5 Millionen Stellen bedroht; weitere 1,2 Millionen bei Verkäufern und ebenso viele bei Hilfskräften in der Reinigung. In einigen Bereichen werden künftig nur noch sehr wenige Menschen tätig sein, etwa in bestimmten Bereichen der Buchhaltung, als Kassierer oder Fahrkartenverkäufer. Die jeweiligen Berufsgruppen könnten laut der Studie von teils über eine Million Beschäftigten auf unter 100.000 schrumpfen.
In Berufen, die eine Spezialisierung oder Expertenwissen erfordern, liegt die Wahrscheinlichkeit, den eigenen Job an eine Maschine zu verlieren, nur bei elf beziehungsweise zwölf Prozent. Besonders unersetzlich scheinen Mediziner zu sein: Von 241.500 Ärzten sind lediglich 3100 betroffen oder gerade einmal ein Prozent. Ähnlich ist die Lage bei Chemikern oder Physikern: Von den insgesamt 46.100 Arbeitskräften mit diesem Fachhintergrund, die häufig in forschender Tätigkeit arbeiten, können der Studie zufolge nur 2800 durch Technologie ersetzt werden.
Mit einem abrupten Wandel rechnet niemand, eher mit einer kontinuierlichen Entwicklung - die aber nicht so langsam vonstatten gehen wird, wie es bei früheren Wellen der Durchsetzung technologischer Innovationen der Fall war. Und natürlich wird es in Zukunft Dank neuer Technologien auch sehr viele neue Stellen geben - irgendwer muss die Roboter ja erfinden und die Algorithmen programmieren.
Der Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, sagte aber dennoch im Deutschlandfunk, »die Gefahr ist groß, dass bei diesen großen Transformationsprozessen in den nächsten zehn Jahren auch viele Menschen auf der Strecke bleiben können«. Die Gewerkschaften müssten deshalb die Themen Qualifizierung, Ausbildung, Aus- und Weiterbildung in den Betrieben stärker noch als bisher ins Zentrum der Arbeit rücken.
Für die Gewerkschaften werde die Frage immer zentraler: »Wie können die Menschen mithalten, die Beschäftigten mithalten mit den neuen Veränderungen?« Es gehe darum, zu versuchen, die Arbeit so zu organisieren, dass auch im Zuge der Digitalisierung »keine Entwertung von Arbeit und Qualifikation stattfindet, sondern vielleicht im positiven Sinne mehr Freiräume, mehr Gestaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen sich entwickeln«, so Wetzel.
Auch der Ökonom Norbert Trenkle hatte dieser Tage in der »Frankfurter Rundschau« auf die »Krise der Arbeit« hingewiesen - es handele sich um eine grundlegende Krise, die höchst widersprüchlich verlaufe: »Auf der einen Seite wird aufgrund der hohen Produktivität immer mehr Arbeit wegrationalisiert. Auf der anderen Seite bleiben aber die meisten Menschen darauf angewiesen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um davon zu leben. Dadurch wächst die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, und das verstärkt den Druck, sich zu immer schlechteren Bedingungen anzubieten«, so Trenkle.
Ob der verstärkte Einsatz von Robotern und die fortschreitende Digitalisierung gesellschaftlich positiv wirken, komme darauf an, so Trenkle. »Unter kapitalistischen Bedingungen führt die technologische Entwicklung dazu, dass immer mehr Menschen für die Warenproduktion überflüssig werden und ihnen deshalb nur die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder prekärer Arbeit bleibt. In einer befreiten Gesellschaft hingegen könnte die hohe Produktivität genutzt werden, um allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und um auf ökologisch verträgliche Weise zu produzieren.« tos/mit Agenturen
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