Knappheit im Überfluss

Regierung hält Versorgung bei Strom für gesichert

AKW werden abgeschaltet, die Kohleverstromung soll sinken - unter erschwerten Bedingungen soll die Versorgung sicher bleiben.

Deutschland gehört zu den mächtigsten Exportnationen. Dies gilt inzwischen auch für den Strombereich: Laut Statistischem Bundesamt summierten sich hier die Handelsüberschüsse im vergangenen Jahr auf 1,75 Milliarden Euro. Rund 74 Milliarden Kilowattstunden Strom wurden ins Ausland geschickt, die Importe betrugen knapp 38 Milliarden. Der Überschuss hat sich seit 2011 versechsfacht. Vor allem billiger Braunkohlestrom lässt sich so trotz des starken Ausbaus der Erneuerbaren weiterhin verscherbeln.

Auch wenn momentan viel zu viele konventionelle Kraftwerke Strom erzeugen - die Bundesregierung sorgt sich wegen möglicher Engpässe in nicht allzu ferner Zukunft. Der Atomausstieg nimmt seinen Lauf, und auch die extrem klimaschädliche Kohleverstromung soll allmählich zurückgefahren werden. Bekanntlich will Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit Hilfe einer Klimaabgabe den CO2-Ausstoß der Kohlekraftwerke um 22 Millionen Tonnen reduzieren. Dies entspräche einer Drosselung der Stromproduktion um rund 20 Milliarden Kilowattstunden. Wie das »Handelsblatt« berichtete, trafen sich Gabriel und sein Staatssekretär Rainer Baake am Dienstag mit dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, um über das Thema Versorgungssicherheit zu sprechen. Die Kohlelobby einschließlich der Gewerkschaften IG BCE und ver.di agieren hierbei mit Horrorszenarien. Gabriel steht mit seinen Plänen auch in der Koalition unter Druck - angeblich lässt das Kanzleramt durchrechnen, wie Deutschland sein Klimaziel auch ohne die Kohleabgabe erreichen kann.

Dafür, dass Strom in Deutschland nie knapp wird, sorgen Reservekapazitäten. Diese werden, wie die Bundesnetzagentur am Montag mitteilte, wegen der Stilllegung des bayerischen AKWs Grafenrheinfeld zum Jahresende auf mindestens 6700 Megawatt erhöht - eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr. Beantragt wird die eiserne Reserve von den Betreibern der Überlandnetze: 50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW begründen dies mit der schwankenden Einspeisung erneuerbarer Energien, aber auch mit der wachsenden Nord-Süd-Kluft bei Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland. Die Netzbetreiber sind daher sauer, dass ausgerechnet Bayern den Bau der 800 Kilometer langen Suedlink-Trasse hinauszögert. »Der Netzausbau 2022 ist quasi übermorgen. Wir haben keinen einzigen Tag zu verlieren«, warnte jetzt Tennet-Chef Urban Keussen. Auch hier sind Gabriel und die Netzagentur aktiv dabei, eine Lösung mit Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zu finden.

Ohne erweiterte Nord-Süd-Netze braucht es umso mehr Reservekapazitäten vor Ort - meist unrentable Kraftwerke, deren Betreiber sie stilllegen wollen. Sie dürfen das nicht und werden dafür entschädigt. Bezahlt wird dies von den Stromverbrauchern über die Netzentgelte. Die Stadtwerke würden am liebsten generell einen Kapazitätsmarkt einführen - Kraftwerksbetreiber würden für die Bereithaltung entlohnt und nicht mehr nach eingespeister Kilowattstunde. Einem solchen Systemwechsel erteilte die Regierung jetzt erneut eine Absage: Die vom Wirtschaftsministerium veröffentlichte »Leitstudie Strommarkt 2015« kommt zum Ergebnis, dass die heutige Marktstruktur nur leicht verändert werden müsse. Wie Staatssekretär Baake kurz und bündig erklärte: »Wir brauchen keine Kapazitätsmechanismen.«

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