Gegen Überstunden, für Grundrechte
Berliner S-Bahner werben für ihren Streik
Die Berliner Eisenbahnerfamilie ist wieder vereint, jedenfalls was die Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) betrifft. Am Mittwoch räumte die GDL Ortsgruppe S-Bahn ihr Kabuff am Ostkreuz und zog in das zentrale Streiklokal «Café Style» am Ostbahnhof um.
Zusammen mit den Kollegen der anderen Verkehrssparten hatte man ein volles Programm für den Tag konzipiert. Kurz nach neun Uhr machte sich ein mit Streikwesten, Transparenten und Flugblättern ausgestatteter Trupp auf den Weg, um auf dem Bahnhof Präsenz zu zeigen und das Gespräch mit nicht streikenden Kollegen und wartenden Fahrgästen zu suchen. Doch die findet man zumindest auf diesem Bahnhof kaum noch, offensichtlich haben sich die Berliner auf den mehrtägigen Streik eingestellt. Danach ist eine Versammlung angesetzt, auf der über die Lage an den verschiedenen Einsatzstellen berichtet und über das weitere Vorgehen beraten wird. Am Nachmittag ziehen die Streikenden erneut los, diesmal zum Ostkreuz. Sie lassen sich auch nicht vom Hausverbot beeindrucken, das die Bahn-Tochter DB Sicherheit ausgesprochen hat. Für den Abend war im Streiklokal sogar eine Filmvorführung geplant. Das Café wird während des gesamten Streiks durchgehend geöffnet sein, damit sich die Kollegen jederzeit in die Streiklisten eintragen können, um später ihr Streikgeld ausgezahlt zu bekommen.
Die Streikleitung der Ortsgruppe S-Bahn ist insgesamt zufrieden mit dem Verlauf des Arbeitskampfes. Zwar will man nicht mitteilen, wie viele der rund 1000 Triebfahrzeugführer des Unternehmens sich am Streik beteiligen, aber der Umfang des Notfahrplans lässt Rückschlüsse zu. Der Betrieb auf der Ringbahn und auf einigen anderen Strecken ist komplett eingestellt, auf der Stadtbahn werden nur einzelne Abschnitte bedient. Lediglich auf der Nord-Süd-Verbindung und einigen Außenstrecken kann das Unternehmen einen stark ausgedünnten, aber einigermaßen stabilen Ersatzfahrplan aufrechterhalten. Die GDL schätzt, dass maximal ein Drittel der regulären Transportleistung erbracht wird, nachts sogar noch weniger.
Unter den Streikbrechern befinden sich nicht nur Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), unorganisierte Kollegen und Verwaltungsmitarbeiter, sondern auch einige GDLer, wird eingeräumt. Denen gehe es weniger um die Ziele des Streiks, sondern vor allem um die materiellen Einbußen, die eine Streikteilnahme trotz Streikgeld mit sich bringt. «Wir versuchen, diese Kollegen »mit Geduld und guten Argumenten zu überzeugen«, sagt ein GDL-Betriebsrat. Und mit den Mitgliedern der EVG, die nicht mitstreiken dürfen, gebe es »viele konstruktive Diskussionen und so gut wie gar keinen Stress «. Auch bei den viel zitierten »empörten Fahrgästen«, die kein Verständnis für den Streik der GDL hätten, handele es sich eher um Ausnahmefälle.
An Motivation fehlt es den streikenden S-Bahnern jedenfalls nicht. Fast jeder schiebt einen Berg Überstunden vor sich her, da es viel zu wenig Fahrer gibt. Sonderschichten sind eher die Regel als die Ausnahme. Daher hat für sie die GDL-Forderung nach einer tariflichen Begrenzung der Überstunden einen hohen Stellenwert. Dennoch ist allen im Streiklokal bewusst, dass es bei dieser Auseinandersetzung um viel mehr als nur die Lösung tariflicher Fragen geht. »Wir stehen hier auch für die Verteidigung von Grundrechten ein. Das sollten auch all jene bedenken, die uns jetzt lauthals beschimpfen«, bringt es ein S-Bahner auf den Punkt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.