Kein Maidan in Minsk
Belarus hat seine Probleme, geht es im GUS-Vergleich aber nicht einmal so schlecht
Derzeit gebe es bei jungen Menschen einen gewissen Trend, mehr Belarussisch zu sprechen. Aber das habe keine politischen Gründe, sagt der pensionierte Linguist Witali: »Das ist eine reine Modeerscheinung.« Der Mittsechziger meint, insgesamt gehe die Sprache seit über zehn Jahren immer weiter zurück und sei ohnhehin »vor allem nur eine Kunstsprache«.
Dabei glaubte Grigory Ioffe, Belarus-Experte der US-Denkfabrik »Jamestown Foundation«,eine kulturelle Absetzbewegung von Russland beobachtet zu haben. Zu Jahresbeginn hatte sich Dauerpräsident Alexander Lukaschenko vor dem größten Jugendverband des Landes BSRM - von Kritikern in Anlehnung an den sowjetischen Komsomol »Lukamol« genannt - für Belarussisch eingesetzt. Eine Kehrtwende frohlockte der US-Analyst. Allerdings eine eigenartige Wendung für Lukaschenko, der diese Rede auch noch auf Russisch hielt. In seiner ersten Präsidenten-Wahlkampagne hatte er noch gefordert, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen.
Derzeit ist ohnehin nicht die Sprache das Problem vieler Belarussen, sondern die wirtschaftliche Situation. Der Impuls durch das Inkrafttreten der Eurasischen Union (EaU) am 1. Januar blieb aus. »Ich kann nicht sagen, wann genau die angefangen hat«, sagt die Übersetzerin Julia. Viele Menschen haben nicht einmal mitbekommen, dass es nun das neue Wirtschaftsbündnis gibt.
Zu bemerken sind daran vor allem verschobene oder teilweise aufgehobene Zollgrenzen in der eher losen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), die von den einstigen sowjetischen Teilrepubliken außer den baltischen und besteht. Die Ukraine trat nach eigenen Angaben aus. Fliegt man von Taschkent über Moskau nach Minsk, erfolgt in Russland eine Zollkontrolle, aber nicht mehr in Belarus. »Die Kontrollen sind nicht strenger als vorher, vielleicht sogar lascher«, erzählt ein Geschäftsmann. Moskau will auch Usbekistan in die Eurasische Union locken. In Minsk wäre ein Beitritt weiterer Staaten gern gesehen, da sich dann die Übermacht Moskaus verringern würde.
Die belarussische Ökonomie ist schon seit über 20 Jahren eng mit der russischen verwoben. Vorteile lassen sich nicht wegrechnen: Allein im Jahr 2012 sparte die Wirtschaft des Landes 9,3 Milliarden US-Dollar dank politisch festgesetzter Vorzugspreise für Öl und Gas. Doch die russische Wirtschaftskrise und der schwache russische Rubel belasten auch die belarussische Wirtschaft.
Die anhaltenden ökonomischen Probleme führen aber anscheinend nicht dazu, dass sich die Belarussen einen Kurswechsel oder gar einen Maidan in der Hauptstadt Minsk wünschen würden. Die Entwicklung in der Ukraine hat vielen Belarussen vor Augen geführt, dass es ihnen im GUS-Vergleich gar nicht einmal so schlecht geht. Diese Haltung wiederum stärkt die Position des seit 21 Jahren amtierenden Staatsoberhauptes vor der Wahl des Präsidenten im Herbst.
Zudem ist die Opposition in Belarus heillos zerstritten und konnte sich noch nicht einmal auf einen gemeinsamen Kandidaten oder gar ein Programm einigen. Präsident Lukaschenko aber führte das Land aus den schlimmsten Wirtschaftskrisen Anfang und Mitte der 1990er Jahre, setzt sich für eine soziale Marktwirtschaft und gegen eine neoliberale Schocktherapie im Land ein. Die meisten Belarussen stehen hinter ihm, sagt Witali. Ob das nicht wieder Probleme mit der EU und den USA gibt? »Ja, wie immer«, ergänzt er und lächelt.
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