Birne statt Rübe
Personalie: Karl der Große
Das waren noch Zeiten: Schillers »Taucher« musste immerhin »hinunter auf Leben und Sterben«, um »den köstlichen Preis zu erwerben«. Dagegen ist Martin Schulz deutscher und europäischer Preisverleihungs-Wut seit Jahren nachgerade hilflos ausgeliefert. Regierungen, Männermagazine, Karnevalsgesellschaften konkurrieren in erbittertem Ringen darum, dem Sozialdemokraten und Präsidenten des Europäischen Parlaments diverse Orden ans Revers zu tackern. Nun also die definitive Krönung: der »Internationale Karlspreis zu Aachen«, den unter anderen Adenauer und Churchill abfassten.
Die feierliche Verleihung, seit 1950, erfolgt traditionell zu Christi Himmelfahrt, vulgo Vatertag. Kein Zufall: Schließlich war Namensgeber Karl der Große (747/48-814) nicht nur leiblicher Vater von 18 Kindern, sondern wurde und wird vor allem als »Vater Europas« verehrt.
Kleinmütige, denen alles Große notorisch misshagt und die in solcher Verehrung lediglich Verklärung sehen, verweisen penetrant auf Karl, den »Sachsenschlächter«, der bei Verden an der Aller 4500 Aufsässige enthaupten ließ - gemäß der Losung »Taufe oder Tod«, unter der der fränkische Potentat sein europäisches Einigungswerk betrieb.
Doch erstens sollen es gar nicht gar so viele gemeuchelte Barbaren gewesen sein, zweitens waren damals halt die Sitten etwas rauer, und drittens ist schließlich das Ergebnis entscheidend: Der am 25. Dezember 800 zum Kaiser gekrönte Karolinger herrschte über einen Großteil Westeuropas, in dem er Gesetze und Währung vereinheitlichte. Ohne das großflächige Ersetzen heidnischen Brauchtums durch die christliche Universalreligion wäre es heute vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit, Ewiggestrige wie die reaktionäre Glühbirnen-Fronde in die Knie zu zwingen.
Statt der Rüben fallen die Birnen. Auch wenn das europäische Einigungswerk natürlich viel, viel größer und bedeutender ist: Mit Blick auf des großen Karls Missionierungsmethoden soll dieser Fortschritt im Jubel der Preisverleihung nicht unerwähnt bleiben.
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