Höchstspeicherfrist im Höchsttempo
Die Große Koalition hat es eilig, die neue Vorratsdatenspeicherung durch den Bundestag zu bringen
Die Bundesregierung will das Gesetz zur neu geplanten Vorratsdatenspeicherung offenbar im Eiltempo durch den Bundestag bringen. Das Datenschutzportal netzpolitik.org hat am Freitag den entsprechenden Gesetzesentwurf veröffentlicht. In dem Schreiben heiß es, das Kabinett wolle sich »wegen der großen Eilbedürftigkeit« kurzfristig damit befassen.
Das 55-seitige Dokument entspricht - nach erstem Eindruck - zum Großteil jenen Plänen, die Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als »Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfristen für Verkehrsdaten« Mitte April vorgestellt hatten. So sollen Telekommunikationsbetreiber verpflichtet werden, die Kommunikationsdaten von jedem Bundesbürger anlasslos - das heißt ohne Verdacht auf eine konkrete Straftat - zu speichern.
Was steht genau drin?
Konkret handelt es sich bei den zu speichernden Daten unter anderem um IP-Adressen von Computern und Verbindungsdaten von Telefongesprächen. Beide sollen zehn Wochen lang gespeichert werden. Auch die Speicherung von Handy-Standortdaten sieht das Gesetz vor. Für die Daten, die potenziell auch die Erstellung von Bewegungsprofilen über jeden Handybesitzer ermöglichen, gelten allerdings kürzere Speicherfristen von vier Wochen.
Über die Leitlinien hinaus geht das Dokument bei den Straftaten, die ein Abfragen der Daten seitens der Ermittlungsbehörden legitimieren. Strafverfolgungsbehörden sollen nun beim Verdacht auf Straftaten, die »mittels Telekommunikation begangen« wurden, auf die Vorratsdaten zugreifen dürfen. Bereits die Leitlinien umfassten einen Katalog von rund 20 Delikten, der weit über Terrorismusbekämpfung hinaus geht: Neben Mord oder Bandendiebstahl fallen auch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder Fluchthilfe (»Einschleusen von Ausländern«) darunter.
Warum gibt es das neue Gesetz?
Die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung war nach Sicht ihrer Befürworter nötig geworden, nachdem sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof die bestehende Datenspeicherung für rechtswidrig erklärt hatten. Mit der zur »Höchstspeicherfrist« umetikettierten Speicherung hatten Innenminister Thomas de Maizière und Justizminister Heiko Maas einen monatelangen Streit beigelegt. Letzterer hatte sich zuvor stets vehement gegen ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen.
Wie das ursprüngliche Gesetz hatte auch die neue Initiative bei Opposition und Datenschützern einhellige Ablehnung hervorgerufen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach im April von »einem Angriff auf die Bürgerrechte«. Fraktionsvize der LINKEN im Bundestag, Jan Korte, bezeichnete die Pläne als »Grundrechtsverletzung mit Vorsatz« und der Vizevorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, beklagte die Aushebelung der Unschuldsvermutung. Auch der Lobbyverein Digitale Gesellschaft bewertete die Pläne als »grundrechtswidrig«. Innerhalb der SPD gab es in den letzten Wochen nur vereinzelte Kritik. So hatte sich der Dortmunder Kreisverband gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen.
Wie geht es jetzt weiter?
Wie Netzpolitik.org berichtet, will die Bundesregierung das Gesetz noch vor der Sommerpause am 3. Juli durch den Bundestag bringen. Der zuvor erforderliche Kabinettsbeschluss soll am 27. Mai gefällt werden. Bereits am Dienstag will sich die SPD-Bundestagsfraktion bei einem »fraktionsoffenen Abend« mit dem Thema befassen. Unter anderem werden dort auch Bundesjustizminister Maas und BKA-Präsident Holger Münch anwesend sein. Ursprünglich war außerdem geplant, dass sich die SPD-Bundespartei am 20. Juni bei einem Parteikonvent in Berlin mit dem Thema befasst. Ob es dazu noch kommt, ist zurzeit unklar.
Gegner der Vorratsdatenspeicherung wollen am 30. Mai vor dem Bundeskanzleramt demonstrieren. Bei der von der Initiative »Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung« initiierten Kundgebung werden unter anderem der frühere Bundestags-Vizepräsident Burkhard Hirsch, der Ex-Datenschutzbeauftragte Peter Schaar sowie der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele erwartet. Auch der Whistleblower Edward Snowden soll zugeschaltet werden. Ob dies die Vorratsdatenspeicherung allerdings verhindern kann, ist zweifelhaft. Als einziger Abgeordnete der Regierungskoalition hat bisher nur der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow angekündigt, gegen das Gesetz zu stimmen. Das Portal netzpolitik.org ruft deshalb auf, sich persönlich an SPD-Abgeordnete zu wenden.
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