Robin Hood der Pfalz

TV-Vorab: Mein Freund, der Mörder

  • F.-B. Habel
  • Lesedauer: 4 Min.
Al Capone, dieser Lümmel, kommt aus Lambrecht und heißt Kimmel.« Ein pfälzer Kindervers aus den sechziger Jahren. Vor einigen Tagen betrat Bernhard Kimmel (Foto: arte) die Justizvollzugsanstalt Oldenburg. Ihm war mulmig, denn er hat 32 Jahre seines Lebens hinter Gittern zugebracht. Erst vor knapp drei Jahren war der zeitweilig meistgesuchte Kriminelle der Bundesrepublik auf Bewährung freigekommen. Doch diesmal war er Ehrengast im Knast. Peter Fleischmann, Regisseur des damaligen »Jungen Deutschen Films«, hat Kimmel seit 36 Jahren mit der Kamera begleitet. Jetzt wurde sein Film »Mein Freund, der Mörder« Insassen, Personal und Gästen der JVA vorgestellt. Öffentlichkeitsarbeit ist der Leitung der Anstalt ein wichtiges Anliegen. »Irgendwann wird fast jeder Verurteilte auch wieder entlassen. Dann ist er unser Nachbar, Teil unseres Alltags. Wie gehen wir dann miteinander um?« Diese Frage stellte Gerd Koop, der Leiter der JVA. Bernhard Kimmel hatte kaum noch daran geglaubt, wieder in Freiheit zu kommen. Als er hört, dass ich von einer linken Zeitung komme, erzählt er mir gern seine Geschichte. Er war neun Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. Mit Kameraden durchstreifte er den Pfälzer Wald und fand Waffen und Munition, die deutsche Soldaten auf dem Rückzug weggeworfen hatten. Tagsüber begann er mit 14, in einer Tuchfabrik zu arbeiten. Doch er war zu intelligent und zu tatendurstig, um dieses eintönige Leben zu führen. Nachts ging er schon bald mit Kumpanen auf Beutezüge. Es gab keinen Geldschrank, den Kimmel nicht öffnen konnte. Seine frühe Popularität beruht darauf, dass der junge Bandenchef immer wieder Geld aus der Beute an die Bevölkerung verteilte, Kleingeld in Vorgärten, Scheine in der Handtasche eines alten Muttchens. Lieber als »Al Capone« hört er, er sei der Robin Hood oder Schinderhannes der Pfalz gewesen. Doch irgendwann wurde die Bande unvorsichtig. Zu Silvester 1960 fiel ein unbedachter Schuss, der einen Mann tötete. Jetzt lief die Fahndung auf Hochtouren. Kimmel, dessen Freund geschossen hatte, wurde gefasst. Doch bei einem Lokaltermin im Wald konnte er fliehen. In der Bevölkerung herrschte eine klammheimliche Bewunderung für ihn. Man stellte ihm Essen in den Wald, damit er durchkommt. Aber mehrere Hundertschaften suchen ihn mit Maschinengewehren und Granatwerfern. »Die wollten noch mal richtig Krieg spielen«, sagt er heute. Tatsächlich stellt sich heraus, dass sich eine Seilschaft ehemaliger Gestapo-Führer in der Pfalz in Amt und Würden gehalten hatte. Der ihn verfolgende Staatsanwalt wird später als Massenmörder verurteilt und ein Zellennachbar von Kimmel. »Der war wohl von Leuten aus der DDR erkannt worden«, meint Kimmel. Als er nach zehn Jahren aus dem Zuchthaus kommt, macht Peter Fleischmann die ersten Aufnahmen mit ihm. Hat Kimmel damals bereut, was er tat? Bereut - wohl nur die verlorenen Jahre. Im Nachruhm sonnt sich Kimmel gern. Er spielt sogar in Fleischmanns Film »Das Unheil« mit, handelt ein bisschen, macht dies und das. Dann wird er nach elf Jahren rückfällig. Bei einem Bankeinbruch wird er überrascht, tötet einen Polizisten beim Schusswechsel und fügt einem anderen bleibende Schäden zu. Dass er zu lebenslanger Haft verurteilt wird, muss er akzeptieren. Schließlich hat er einen Menschen getötet. Schwerer fällt es ihm zu sehen, dass Mörder, die Frauen oder Kinder bewusst umgebracht haben, nach Jahren auf Bewährung freigelassen werden. Er hatte subjektiv nicht töten wollen. Doch er muss 22 Jahre einsitzen. Er liest in dieser Zeit alle in der Gefängnisbibliothek verfügbaren Klassiker, kann heute lange Passagen Schiller, Heine oder Shakespeare zitieren und fand in den RAF-Terroristen Pohl und Wagner anregende Gesprächspartner. Die Keramik-Skulpturen, die er im Gefängnis anfertigt, weisen ihn als sensiblen Künstler aus und finden in Ausstellungen Anerkennung. Doch bei alledem ist Kimmel noch nicht völlig mit sich im Reinen. Manchmal fast gnadenlos zeigt es Fleischmanns Film. Bernhard Kimmel hat noch viel aufzuarbeiten. Er sollte neue Skulpturen machen. Der Film über ihn ist ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte aus einem ungewohnten Blickwinkel. Mein Freund, der Mörder, arte, heute, 22.30 Uhr

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