Ein Gemeindezentrum der darstellenden Künste
Das English Theatre feiert mit einem Festival die englischsprachige Freie Szene Berlins
Kulturzentren für Menschen mit ausländischen Wurzeln gibt es in Berlin sehr viele. Normalerweise sind sie entlang ethnischer Grenzen aufgeteilt. Anders das English Theatre (ET) in Kreuzberg. »Berlin fungiert als Magnet für Künstler aller Sparten aus allen Ländern«, sagt Daniel Brunet, einer der beiden künstlerischen Leiter. Englisch sei dabei die »Brückensprache« und das ET das »Gemeindezentrum«. Das im Englischen viel gebrauchte Wort »Community« hat keine gute deutsche Entsprechung, deswegen klingt Brunet ein bisschen wie ein Pfarrer, wenn er von »Projekten aus und für diese Gemeinde« spricht und festhält: »Ich arbeite fast ausschließlich mit dieser Gemeinde.«
Das ET hat kein festes Ensemble. Es bezeichnet sich als eine der ältesten Freien Bühnen Berlins, denn im Juni ist die Gründung seines Vorläufers 25 Jahre her. Als zweiten Namensbestandteil hat sich das ET mittlerweile den Zusatz »International Performing Arts Center« zugelegt. Es ist also ein internationales Zentrum der darstellenden Künste. Dabei geht es nicht nur um angelsächsisches Theater. Um das einmal gesondert hervorzuheben, dachte sich Brunet ein Festival aus, das sowohl alle Gattungen der darstellenden Kunst als auch Menschen verschiedenster Herkunft ins ET holt: die »Expat Expo«, die seit 2013 jährlich stattfindet.
»Expat« ist die Abkürzung von »Expatriate«. In vielen europäischen Großstädten ist die Existenz der Expats, der englischsprachigen Zugewanderten, sichtbar, beispielsweise anhand englischer Stadtmagazine und Irish Pubs. Die vielen künstlerischen Expats in Berlin kriegen nun, sofern sie auf Englisch aufführen, vom 1. Juni an eine ganze Woche lang ein Schaufenster. Aus 75 Bewerbungen hat Brunet 20 ausgesucht, die an sechs Tagen zum Zuge kommen. Bisher habe es bei der »Expat Expo« auch Gastspiele gegeben, aber dieses Jahr träten nur Berliner Gruppen und Einzelpersonen auf, erzählt der seit 2001 hier lebende Theatermacher. Auch Uraufführungen seien dabei.
Vielfalt ist garantiert. Da gibt es ein stummes Stück mit Papierfiguren und, auf der Basis des 2014 erschienenen US-Senatsberichts über die CIA-Geheimgefängnisse, eine direkte Konfrontation mit einem CIA-Agenten an seinem Verhörtisch. Einzelperformances über das Innenleben von Frauen und Eingewanderten werden ebenso geboten wie Kombinationen aus Musik, Puppentheater, Animationen und Tanz, etwa durch die aus Griechenland stammende Gruppe »Dirty Granny Tales Band«.
Brunet hat es sogar geschafft, die völlig frei ausgewählten Stücke thematisch zu gruppieren. Jeder Tag hat eine Überschrift. Einmal geht es um Rituale, einmal um Immigration, einmal um Geschlecht, und ein Tag ist explizit politischen Problemen gewidmet. Am Sonntag gibt es zum Abschluss bei freiem Eintritt von 12 bis 18 Uhr den »Expat Markt«: Das gesamte Gelände des ET, einschließlich seines Innenhofs, füllt sich dann mit Kunst- und Handwerksständen, Musik, Clowns, Jongleuren und Performances.
Dass Berlin der eingangs erwähnte Magnet ist, hat vermutlich auch mit den wirtschaftlichen Zusammenbrüchen in so einigen Ländern zu tun. Einen weiteren Grund hält das Programmheft zur »Expat Expo« fest: Berlin werde weltweit um seine Kultursubventionen beneidet.
»Wir knirschen immer wieder mit den Zähnen, das Geld reicht hinten und vorne nicht«, sagt Daniel Brunet einerseits über die Lage der Freien Szene in Berlin. Die andere Seite ist, dass hier immerhin überhaupt eine relativ breite Förderung für Freie Gruppen existiert: »In den USA gibt es das so gut wie gar nicht, auch in vielen anderen Ländern nicht.« Brunet erwähnt, dass die Freie Szene Repräsentanzen in allen Bundesländern und einen Bundesverband hat. Für die künstlerischen Wahlberliner aus dem Ausland ist ihr Gemeindezentrum in der Kreuzberger Fidicinstraße offensichtlich eine gleichermaßen wichtige Institution.
Expat Expo, 1.-7.6., English Theatre, Fidicinstr. 40, Kreuzberg, U-Bhf. Platz der Luftbrücke. Einzelvorstellung 7 Euro (erm. 5 Euro), ganzer Abend 15 Euro (erm. 9 Euro). www.etberlin.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.