Willst du Abraham sein?
»Gehorsam« – ein Boddeke-Greenaway-Event im Jüdischen Museum Berlin
Es ist eine uralte Geschichte: Stammvater Abraham und das Schicksal seiner Familie. Ein literarisch so kostbares wie moralisch anfechtbares Kapitel im Buch der Bücher. In biblischer Hinsicht sind Gläubige immer wieder hin- und hergerissen - sollen sie den dem Himmel Gehorsamen nun verehren oder verurteilen? Sie lesen schier Unglaubliches im Ersten Buch Mose, 22, 1-19. Abraham erhält einen Befehl von oben zum Töten des einst heiß ersehnten eigenen Sohnes. Er glaubt, diese Weisung sklavisch befolgen zu müssen. Was ist er in dem Moment für ein Mensch als Vater? Dann die abrupte Wendung im ersatzweisen Schlachten eines gehörnten Tieres. Kann das ein Trost für die gläubige Menschheit sein?
Wir leben nach wie vor in einer Welt, in der vermeintlich göttlichem Recht gehorchend mit Hauen und Stechen Ordnung zu schaffen versucht wird. Der Wert des Kindes ist ambivalent. Geburtshilfe ja, aber Chancen zum Überleben? Oft genug fragwürdig. Menschenopfer bejahen oder verdammen, daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Träumen von einer human gestalteten Gesellschaft nur die mit einem Gottesglauben nicht mehr Gesegneten? Der Brite Peter Greenaway und seine niederländische Frau Saskia Boddeke gehören dazu. Der immer noch nicht zum Sir avancierte kontroverse Filmemacher Peter outete sich bereits als »waschechter Atheist«, der aber »in Theologie immer die besten Noten« hatte. Von der Malerei und manchen anderen Künsten ebenfalls inspiriert, beglückt ihn die Multimedia-Künstlerin folgerichtig nun seit 20 Jahren als Partnerin fürs Leben und in gemeinsamen künstlerischen Projekten.
Offenbar findet Greenaway in solcherart Novitäten jetzt eher Erfüllung als im Filmgeschäft, das seinem extravaganten Anspruch kaum noch gerecht wird. Er und sie in Koproduktion - das hieß 2008 schon in Saragossa »The Blue Planet« oder 2014 in Moskau »The Golden Age of Russian Avantgarde«. Das auch untereinander streitbare Paar unternimmt es, sich nun wieder in einer umfangreichen und anspruchsvollen Rauminstallation zu äußern. Über eine ganze Etage des Jüdischen Museums Berlin stellen sie sich kompromisslos dem ganzen Themenkomplex des biblischen Abraham und seiner Söhne Isaak und Ismael. Das Beste: Sie öffnen mittels dieser Schau den geistigen Raum enorm für Reminiszenzen und Assoziationen. Sie wecken unsere Phantasie und aktivieren unsere Sinne. Weit spannen sie den Bogen, und das sowohl in thematischer Hinsicht wie in den künstlerischen Mitteln.
Schön, dass sie klangvoll und bedeutungsschwer das Wort »Gehorsam« darüberstellten. Nur so ganz nebenbei lassen sie das englische »Obedience« anklingen. Weil inzwischen durch den Jargon der Hundehalter hoffnungslos profanisiert, ist es hier glücklicherweise unanwendbar. Wären sie nur bei diesem Prinzip geblieben! Das kalligraphisch exquisit gestaltete Ambiente der Ausstellung ist dann durchweg exklusiv englisch betextet. Leider konterkarieren sie damit den umfassenden sozialen Anspruch des Ganzen. Wollen Sie ernsthaft nur ein elitäres Publikum erreichen? Sie produzieren auf hiesigem Boden in einem deutscher Geschichte zutiefst verpflichteten Areal. »The Ram« dürfte da immer noch bildhaft »Widder« heißen. Und ein »Opfer« ist eben in unserer Sprache viel mehr als »Sacrifice«. Schade, wenn das Gespür für eine Weltsprache verloren geht.
Das positive Erlebnis jedoch bleibt dominierend. Der Auftakt der Räume bringt schon eine Apotheose der gemeinschaftlichen Verbrüderung junger Menschen verschiedener Hautfarbe und verschiedenen Geschlechtes. Von der (übrigens durch die Bank anonym bleibenden) Kamera wird auf berührende Weise bewegtes Mienenspiel erfasst. Der Ruf »Ich bin!« oder »I am!« ist vom Atem einer gewissen Befreiung inspiriert, unüberhörbar und unübersehbar als Zeichen eines Leben bejahenden Willens. Diese Menschen müssen sich nicht entweder mit Isaak oder mit Ismail identifizieren, um das vorgegebene Thema zu treffen.
Die Fortsetzung des Rundgangs mündet in die Intimität des Sakralen. Golden angestrahlt, wird die Gemeinschaft der drei monotheistischen Weltreligionen in der schriftlichen Überlieferung beschworen. Pentateuch, Biblia pauperum oder Koran - die Parallelen sind unverkennbar. Bibliophile Raritäten dürfen als Zeugnisse uralter Druckkultur gelten. Die wohl (selbst im Wortsinn) ergreifendste Umsetzung des Gefühls der Anbetung ist im wiederum strahlend hell ausgeleuchteten folgenden Areal realisiert: Greifend suchende und sich öffnende Hände fügen sich zur überzeugenden Komposition von Engelsflügeln. Das Objekt des Koreaners Xooang Choi schwebt vor blütenrein leuchtenden Wänden, welche vom Flaum der schneeweißen Federn bedeckt sind.
Der Teufel wird folgerichtig in engbegrenzte Finsternis verbannt. Unsere Füße gleiten auf glattem tiefschwarzen Gestein fast aus, während wir im rötlichen Feuerschimmer diabolisch übergroß eine Grimasse auf die Bildwand projiziert sehen. Selbige zitiert zur Abwechslung den deutschen Bibeltext: »Alles nur, weil er einen Sohn wollte ...« und »... lässt er dich im Stich« höhnt Satan da. Die nächsten drei Räume charakterisieren auf originelle Art die drei erwähnten, allzu verwandten Glaubensbekenntnisse. Der Islam kommt da relativ diesseitig als kulinarisch versierter Mekkapilger an vier mit Anschauungsmaterial geradezu überfüllten Tischen zur Geltung.
Das Christentum wird dagegen mit einer lehrhaft ausgedeuteten Projektion eines Ölbildes von Caravaggio veranschaulicht. Auch Kunst von Rembrandt und Otto Dix stimmt dazu ein. Mag sein, dass eine ausufernde Kruzifixierung die Idee einer uferlosen Vervielfältigung von Kreuzen als Wanddekoration eingab. Jedenfalls kommt das Judentum da im Vergleich seriöser zur Geltung. Die Anmutung einer Bibliothek wird von den Grabsteinen dreier Märtyrer aus dem 13. Jahrhundert unterbrochen. Diese weihevolle Atmosphäre wird beim Weitergehen danach wieder in Frage gestellt, wenn die in den Bibeltexten stiefmütterlich behandelten Mütter Hagar und Sara thematisiert werden. Die tänzerische Interpretation des familiären Sujets durch die israelische Tanzcrew »Club Guy & Roni« wird filmisch gezeigt. Den Fußboden bedeckende Kochtöpfe warten derweil auf weinende Tropfen aus an der Decke hängenden Krügen.
In furiosem, nun wieder tief überzeugenden Wechsel präsentieren sich die letzten fünf Räume: Der vom blitzenden Messer Abrahams bedrohte Widder darf vom ultraprominenten Damien Hirst in goldgehörnter Tiefschwärze beigesteuert werden. Das Kontrastprogramm in Gestalt des »Agnus Dei« kommt vom spanischen Barockmaler Zurbaran, erleuchtet in magischen Dunkel. Unsere von Lammwolle verwöhnten Füße schreiten hinaus auf einen Flur, der von einer Unzahl bedrohlicher Ketten und Riemen, Stricke und Seile verhängt ist. So auf die vieldeutige Bindung in ein mörderisches Schema vorbereitet, erleben wir anschließend die Apotheose der drohenden Gewalt auf drei riesigen Projektionsflächen. Von wohlgeordneten Hieb- und Stichwaffen flankiert, dürfen wir das aktuelle Hinmorden junger Menschen in aller Welt miterleben. Erschütternd. Die Überblendung wiederum mit allzu ästhetisch anmutenden Tanzposen relativiert diesen tiefen Eindruck jedoch. Im Schlussraum wird unser Blick auf tapezierte Zeitungsseiten mit der tödlichen Bedrohung jeden Tages, den Gott gemacht hat, konfrontiert. Endfrage: Willst du Abraham sein?
Saskia Boddeke & Peter Greenaway: »Gehorsam«. Jüdisches Museum Berlin, bis 13. September Mo 10-22, Di-So 10-20 Uhr.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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