Entzückende Rücken für Erdogan
Twitterprotest türkischer Frauen ärgert Erdogan / Tausende Frauen drehen dem Präsidenten den Rücken zu / Wahlen am Sonntag
Auf Twitter bekommt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mitsamt seiner konservativen Regierungspartei AKP gerade ordentlich Ärger von linken und kurdischen Frauen. Bei einem Wahlkampfauftritt im osttürkischen Igdir wurde Erdogan von einer Gruppe Frauen begrüßt, die dem Präsidenten demonstrativ ihren Rücken zeigten und dabei das Victory-Zeichen machten – das auch als Handzeichen des kurdischen Kampfes unter anderem der PKK fungiert. Wie Spiegel online berichtet, provozierte diese deutliche Geste der Ablehnung den Präsidenten so sehr, dass er die Protestlerinnen bei seiner Rede zurechtwies: »Wenn Sie nur ein Minimum an Freundlichkeit, Ehre und Kompetenz hätten, wäre das Parlament der Ort für Politik«.
Von so viel Eitelkeit des Präsidenten amüsiert, reagieren jetzt Frauen in der ganzen Türkei auf Twitter. Unter dem Hashtag #SirtimiziDönüyoruz (»Wir drehen dir unseren Rücken zu«) posten sie eine Flut von Bildern ihrer Rücken und Hinterseiten. Inzwischen haben auch Männer in den Rückenchor gegen Erdogan eingestimmt. Mit von der Partie sind außerdem Comics, Taubenrücken und erdoganfeindliche Hundehinterseiten. Die Rückenflut setzte den Hashtag in der Türkei innerhalb kürzester Zeit auf Platz 1 der Twittercharts (»Trending Topic«), sogar weltweit schaffte es #SirtimiziDönüyoruz auf Platz 3.
Dieser Twitterprotest mitten im Wahlkampf kommt Erdogan ungelegen. Die Gruppe der protestierenden Frauen gehört der linken und prokurdischen »Demokratischen Partei der Völker« (HDP) an, die von der deutschen LINKEN und inzwischen auch von den Grünen unterstützt wird. Die Partei setzt sich für den demokratischen Sozialismus ein. Sie könnte am kommenden Sonntag bei den Wahlen in der Türkei die Zehn-Prozent-Hürde nehmen und dadurch die absolute Mehrheit von Erdogans regierender AKP bedrohen.
Die sozialen Medien spielen für Protest und Bewegung in der Türkei eine zentrale Rolle. Schon bei den #occupygezi Protesten zur Erhaltung des Gezi Parks in Istanbul nutzten Aktivisten Twitter, um sich zu organisieren und gegen Polizeigewalt aufzubegehren. Auch im vergangenen Jahr nutzten Frauen Twitter für ihren Protest: Als im Juli Vizepremierminister Bülent Arinc sagte, Frauen sollten in der Öffentlichkeit nicht laut lachen, wurde er über Twitter mit lachenden Frauengesichtern überschwemmt.
Die demokratisch funktionierenden sozialen Internettplattformen sind ein wichtiges Instrument gegen das autoritäre Regime Erdogans. Dieser versucht daher immer wieder, dem Internetprotest den Hahn abzudrehen. Zuletzt sperrte er Twitter und Youtube landesweit Ende April. Grund war die Verbreitung eines Fotos, auf dem die Geiselnahme eines Staatsanwaltes in Istanbul zu sehen war. ek
#Erdogan insulta donne #curde. #Protesta sui social: "#GiriamoLeSpalle". #SirtimiziDoenueyoruz http://t.co/0DBizT2PtC pic.twitter.com/oK52moOoSJ
— LetteraDonna (@LetteraDonna) 3. Juni 2015
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.