Angst vor der zweiten Perestroika
Gorbatschow-Stiftung könnte sich auf Index für Agenten wiederfinden
Das Etikett »ausländischer Agent« könnte vielleicht bald die von Gorbatschow 1992 gegründete und nach ihm benannte Stiftung schmücken. Ein diesbezüglicher Antrag liegt dem russischen Justizministerium bereits vor. Dieses ist zuständig für die Zwangsvollstreckung eines 2012 verabschiedeten Gesetzes. Das verpflichtet alle »politisch orientierten« nichtstaatlichen Organisationen (NGO), die mit ausländischen Fördermitteln arbeiten, sich als ausländische Agenten in ein eigens dazu angelegtes Register eintragen zu lassen. Weil das Gesetz nicht »arbeitet« - Verdächtige verweigerten die Stigmatisierung - nimmt die Behörde ihnen die Mühe inzwischen ab. Derzeit stehen bereits 68 NGOs auf dem Index.
Um die einschlägige Überprüfung der Gorbatschow-Stiftung hat ein gewisser Georgi Fjodorow nachgesucht. Er gehört der sogenannten Öffentlichen Kammer an. 2005 ins Leben gerufen, soll sie die Interessen von Bürgern und sozialen Gruppierungen gegenüber staatlichen Organen und lokalen Behörden vertreten und diese auch kontrollieren. Das klingt nach Basisdemokratie. Doch zwei Drittel der insgesamt 168 Mitglieder werden vom Präsidenten und den Regionen ernannt.
Gegen die Gorbatschow-Stiftung bringt Kammermann Fjodorow deren eigene Statuten in Stellung. Hauptaufgabe sei die »Festigung und Verbreitung von Demokratie und wirtschaftlichem Liberalismus«. Das qualifiziere sie eindeutig als »politisch orientiert«. Dazu käme ein Hauptquartier im Ausland. In San Francisco. Stiftungssprecher Pawel Palaschtschenko, der einst dem KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow bei den Abrüstungsverhandlungen als Englisch-Dolmetscher diente, dementierte: Es gebe gar kein Hauptquartier in San Francisco. Gorbatschow selbst habe man mit diesem ganzen »Quark« daher gar nicht behelligt.
Unabhängige Beobachter tippen bei dem Prüfungsantrag auf einen Denkzettel für Gorbatschow und seine Stiftung. Dabei hatte Michail Sergejewitsch bei der Militärparade zum 70. Jahrestag des Sieges auf der Ehrentribüne Platz in der Nähe des Oberkommandieren und Präsidenten Wladimir Putin nehmen dürfen. Ausdrücklich hatte er den Nachfolger im Kreml in der Krim-Krise unterstützt und zudem scharfe Kritik an westlichen Sanktionen gegen Russland wegen der Entwicklungen in der Ostukraine geübt.
Frei von Trübungen ist beider Verhältnis indes nicht. Gorbatschow sah in Putin, ähnlich wie die meisten Politiker im Westen, zunächst einen Hoffnungsträger und Vollender seiner Perestroika. Doch dann zeigte er sich von dessen innerpolitischer Vorstellung enttäuscht. Er kritisierte - wenn auch eher vorsichtig wie stets - einen Rückbau der Demokratie.
Besonders unbeliebt soll sich Gorbatschow höheren Ortes kürzlich mit einer Studie gemacht haben, in der sich seine Stiftung sehr kritisch mit den Entwicklungen zwischen 1985 und 2015 auseinandersetzt. Antragsteller Fjodorow sah darin sogar einen »indirekten Appell zu einer neuen Perestroika«.
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