Die FIFA und andere Seilschaften
Christoph Ruf über den umtriebigen Präsidenten Sepp Blatter, Möglichkeiten für eine Alternative zum FIFA-Fußballweltverband und die Rolle von Franz Beckenbauer im Korruptionsskandal
Es ist schon erstaunlich: In einer Republik, in der keine Umgehungsstraße, keine Stromtrasse und kaum eine öffentliche Figur unumstritten ist (warum sollte sie das auch sein?), herrscht bei einem Thema vollkommenes Einverständnis. Dass Joseph Blatter zurücktrat, wird landesweit als überfällig empfunden. Doch damit endet der Konsens nicht. Ausweislich der entsprechenden Umfragen sind annähernd 100 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass die FIFA an sich ein Korruptionsproblem habe, das mit dem Austausch der Spitzenfunktionäre nicht behoben ist.
Die Leute haben recht. Schließlich ist es kaum denkbar, dass außer einer Handvoll hochkorrupter Funktionäre der Rest des Apparates in den vergangenen Jahrzehnten integer im Dienste des Fußballs gearbeitet hat. Bei der FIFA stinkt der Fisch zwar ganz erheblich vom Kopf her. Doch anderswo riecht er nicht viel besser.
Der Journalist und Fußballexperte Christoph Ruf betreibt das nd-Blog »Sonntagsschuss«.
Umso erstaunlicher, dass die Forderung aus England, man möge über eine Konkurrenzorganisation zur Züricher Seilschaft nachdenken, nicht mehr allzu laut diskutiert wird, seit Sepp Blatter das Handtuch warf. Dabei ist die FIFA allein schon strukturell kaum in der Lage, sich selbst zu reformieren. Dazu ist sie viel zu eng mit den Kontinental- und Landesverbänden verwoben. Dass UEFA-Präsident Michel Platini gleichzeitig Vizepräsident der FIFA ist, stellt dann auch eines der augenfälligsten Probleme an diesem Konstrukt dar. Denn Platini, der sich – als es längst nicht mehr viel kostete – gegen seinen einstigen Ziehvater positionierte, hat seine Machtbasis bei den osteuropäischen Verbänden. Er betreibt für sie eine ähnliche Klientelpolitik wie Blatter für die Zwerg- und Inselstaaten, die seine Hausmacht sicherten. Wenn sich Menschen wie Platini als Reformer gerieren, treten sie damit nur den Beweis für die These an, dass sich die FIFA eben nicht von innen heraus reformieren kann.
Allerdings kann diese Erkenntnis nur der Anfang eines Prozesses sein, der doch weit schwieriger werden dürfte, als sich das die Politiker von Grünen (Simone Peter) und FDP (Alexander Graf Lambsdorff) so vorstellen.
Zwar trifft es zu, dass die FIFA ihrer Machtbasis enthoben wäre, wenn die maßgeblichen europäischen Verbände sich zusammentäten und südamerikanische Verbände wie Argentinien und Brasilien mit ins Boot holten. Doch abgesehen davon, dass zumindest der brasilianische Verband bei der Bevölkerung ebenfalls als Hort der Korruption gilt, dürfte der für Blatter und Konsorten leicht zu beherrschende Flickenteppich aus Kleinststaaten nun nicht durch das Machtkartell der (wirtschaftlich) Starken ersetzt werden. Die Blatter-Clique hat sich schließlich nicht nur deshalb so lang am Ruder gehalten, weil sie Dinge tat, für die sich gerade die Juristen interessieren. Sie hatte auch gehörigen Rückhalt, weil sie in Staaten, die in der Weltpolitik marginalisiert sind, mit Wohltaten um sich warf. Ein neuer Fußballplatz, ein paar geschulte Trainer, ein Jugendinternat – für manches Südseeatoll waren Blatters »Zückerli« ja tatsächlich praktizierte Entwicklungshilfe. Sollte es allerdings gelingen, einen Weltverband aufzubauen, der demokratischer und transparenter arbeitet als der bisherige, wäre viel gewonnen. Wenig wäre da schon deutlich mehr als der Status quo.
Doch ein solches Vorhaben setzte zunächst einmal den aufrechten Reformwillen der mächtigsten Landesverbände voraus. Den kann man DFB-Präsident Wolfgang Niersbach nicht absprechen, der – spät, aber immerhin – sehr deutliche Worte gefunden hat. Spannend zu beobachten wird es nun allerdings sein, wie DFB und Öffentlichkeit mit einem Mann umgehen, der seit Jahrzehnten mal ernsthaft, mal ironisch als »Lichtgestalt« bezeichnet wird und daher eine Art Narrenfreiheit zu genießen scheint: Franz Beckenbauer.
Dass ein Funktionär von 2007 bis 2011 der FIFA-Regierung angehört hat, ohne auch nur das Geringste von den Umtrieben mitbekommen zu haben, würde man sonst wohl niemandem abnehmen. Fakt ist, dass in seiner Amtszeit die WM-Vergaben an Russland (2018) und Katar (2022) verhandelt (und offenbar auch finanziert) wurden. Alles, was er wisse, wisse er aus den Medien, hat Beckenbauer dazu erklärt und sich bei einer Pressekonferenz in Berlin weitere Nachfragen verbeten. Einigermaßen merkwürdig, dass solch ein Gebaren keinen Sturm der Entrüstung nach sich zieht. Nachhilfestunden in Sachen Demokratie brauchen dieser Tage einige Länder – nicht nur Samoa.
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