Verbieten ist verboten
Über einen Kulturwandel, der Humor braucht
Es gibt heute nicht nur Helikoptereltern, sondern auch eine Helikopter- moral. Ihr Flugbenzin ist das Internet, und wo alles um den schnellen Angriff geht, gibt es wenig Raum für Empathie oder gar Humor, nicht einmal für den im Gesetzbuch stehenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Ein nur anfangs witziges Beispiel hat sich in den letzten Wochen um die Universität Passau herum abgespielt. Ausgelöst wurde ein wahrer Angriff von Moralschwärmern durch ein Projekt der Sportstudenten für eine Feier. Sie schrieben einen Wettbewerb aus und dachten, es sei ein toller Gag, dem alten bayerischen Brauch des Fensterlns neue Weihen zu verleihen. Über dieses Balzritual gibt es viele kitschige Bilder. Es geht darum, nicht durch die Haustür, sondern mit Hilfe einer mitgebrachten oder entliehenen Leiter vor das Kammerfenster der Angebeteten zu kommen. Wenn sie den schwindelfreien Jungmann einsteigen lässt, ist der erotische Bund besiegelt.
Bayern war dafür bekannt, dass es einerseits streng katholisch und anderseits der vorehelichen Erotik sehr zugeneigt ist. Auf der Alm, wo die Sennerin melkt und der fesche Jäger zu Besuch kommt, gibt es keine Sünde. Auch der Weg durchs Fenster vermeidet die Begegnung mit den Eltern der Braut, die solche Annäherungen nur in der Hochzeitsnacht erlauben würden. Die Sportstudenten garnierten also einen Hindernisparcours mit dem symbolischen Ziel des Kammerfensters der Geliebten.
Halt! schrieb da die Gleichstellungsbeauftragte der Universität. Sie ist dafür zuständig, darüber zu wachen, dass sich Chancengleichheit in allem abbildet, was in der Universität geschieht. Wenn Fensterln, dann müssen beide Geschlechter auf die Leiter steigen dürfen!
Nun muss man sich fragen, warum dann das Studium der katholischen Theologie nicht längst aus dem Lehrplan verbannt wurde. Das liegt daran, dass Gleichstellungsbeauftragte sehr viel weniger Macht haben als ihnen von privilegienbesorgten Männern zugeschrieben wird. Das katholische Priester-Privileg genießt in Passau wie überall Bestandsschutz. Über Jahrhunderte hin war die katholische Theologie überhaupt das einzige Studium, das man in Passau abschließen konnte. Der Autor hat als Gymnasiast in den 50er Jahren noch das bedrückende, bigotte Klima der Bischofsstadt erlebt. Ein Wettbewerb im Fensterln an der Universität Passau wäre damals aus ganz anderen Gründen undenkbar gewesen.
In der Presse wurde aus der Gender-Kritik an einem Wettbewerb männlicher Aktivisten gleich ein Verbot. Und plötzlich wurde die Frage diskutiert, ob Fensterln die Frau »zum Objekt degradiert« - diese hässliche Formulierung soll in der Diskussion zwischen einer Gleichstellungsfrau und einem Sportstudenten gefallen sein. Jetzt kamen die Helikopter geflogen. Ein veritabler Professor für Verwaltungsrecht, Max-Eammanuel Geis von der Universität Erlangen erklärte, ein Erlass gegen das Fensterln sei mit der bayerischen Verfassung nicht vereinbar und die Objektformel würde im Staatsrecht nur verwendet, um Folter, Sklaverei oder KZ-Haft zu bezeichnen. Wolle man in Passau etwa auch den Tango, den Minnesang und die Carmina Burana verbieten?
Auf Facebook brach ein Shitstorm gegen die Fachfrau los. Von politischer Seite wurde gehetzt. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten und die Junge Union Niederbayern fanden die Gleichstellungsbeauftragte eine »Schande für unsere Heimat«, die das bayerische Lebensgefühl in den Schmutz ziehe.
Später sollte eine Podiumsdiskussion im vollbesetzten Audimax der Universität Passau die Debatte versachlichen. Uni-Präsident Burkhard Freitag verteidigte seine pflichtbewusste Gleichstellungsbeauftragte. Sie habe nur ihren Job gemacht, was solle sie sonst tun?
Inzwischen haben hochrangige bayerische Politiker versucht, Öl ins Feuer zu gießen. Ministerpräsident Horst Seehofer fasste die bayerische Lebensart wieder einmal in die Formel »leben und leben lassen«, seine Stellvertreterin Ilse Aigner wies darauf hin, dass die Frau beim Fensterln zwar sportlich weniger gefordert, ihre Aktivität aber doch von gleichem Rang sei wie die männliche. Sie müsse das Fenster auftun.
Viel Lärm um nichts? Es ist ein verräterischer Lärm, der zeigt, wie humorlos auf beiden Seiten die Auseinandersetzung über die Frage geführt wird, wie eine von patriarchalen Traditionen geprägte Gesellschaft mit dem von ihr selbst gewollten Kulturwandel umgeht. Männer und Frauen haben sich gemeinsam dafür entschieden, eine interkulturelle Perspektive in ihre Beziehungen einzuführen. Gleichzeitig sind sie mehr denn je auf Schutz und Anerkennung von Seiten des Gegenübers angewiesen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.