Fragen Sie mich!

Jirka Grahl berichtet für »nd« von den Europaspielen

  • Lesedauer: 2 Min.

Bakus Personennahverkehr erlebt derzeit eine Art Idealzustand: Weil noch mehr Busse als üblich fahren und die Taktung der U-Bahn für die Spiele deutlich erhöht wurde, reibt sich mancher Einheimische die Augen, wie viele freie Sitzplätze in der ansonsten meist überfüllten Metro leer bleiben. »Tagsüber im Sitzen von der Station Azadliq-Prospekt bis Nizami? Das gibst es sonst nie!« erzählt mir ein Mittdreißiger, er brüllt fast, weil der unklimatisierte Zug russischer Bauart mit offenen Fenstern durch die erhitzten Tunnel der aserbaidshanischen Hauptstadt rattert. Er würde sich als Mann sonst sowieso nicht hinsetzen, entnehme ich den Schreien in mein Ohr: »Hier ist es üblich, dass die Männer für Frauen aufstehen. Nicht nur für ältere, sondern für alle!«

An jedem U-Bahn-Ausgang im Stadtzentrum stehen junge freundliche Menschen, die Gästen helfen sollen, sich in der Stadt zurecht zu finden. Sie tragen T-Shirts und Luftballons, auf denen »Ask me!« steht - »Fragen Sie mich!« Die Gastfreundschaft Bakus ist allerorts überwältigend, umso schwerer fällt ins Gewicht, dass sich anscheinend kaum ausländische Touristen auf die weite Reise nach Baku begeben haben.

Noch nicht ein einziges Mal habe ich einen Touristen bei einem der Helfer gesehen. Einsam und verlassen stehen die bemitleidenswerten jungen Menschen in der Hitze und halten ihre Ballons fest: Fragen Sie mich!

Heute morgen mühte ich mich, wenigstens einen Bruchteil der abwesenden Europäer zu ersetzen. Als ich an meiner Metrostation »28. Mai« in Richtung Ringer-Arena einsteige, stelle ich der »Ask me!«-Bakuerin in der Vorhalle des U-Bahnhofs erfundene Fragen. Schließlich gibt es Sehenswürdigkeiten, die ich vielleicht noch besuchen könnte: Wo gehts zum Teppichmuseum, wo zur Kristallhalle? Ich bekomme einen U-Bahn-Plan geschenkt und die Wege in allen Details beschrieben und will glauben, dass sie sich über die Abwechslung freut. Im Gegenzug muss ich mit Antworten dienen: Wo ich herkomme? Wie es mir gefällt? Wieso ich sogar Russisch kann? Ich strenge mich an. Als ich mich verabschiede, habe ich deutlich mehr Fragen beantwortet als die nette Gastgeberin. Gutgelaunt gehts zur Arbeit.

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