- Kultur
- ndLive 2015
Ahoi, ahoi - Konzerte vorbei
Liebeslied, Brass, Punk oder Crossover berauschten Musikfans
Sonnenschein flutet den Innenhof des Bürogebäudes am Franz-Mehring-Platz 1. Eine leichte Brise weht unter den türkisfarbenen Schirmen, in deren Schatten es sich aushalten lässt. Mediterrane Melodien erklingen. Einige Zuhörer schließen die Augen. Vielleicht glauben sie, am Meer zu sitzen - nicht zwischen vier grauen Betonwänden. Den Hauch von Meer bringt die griechische Band »Artio Trio« mit in die Großstadt. Jolanda Damalidou singt mit majestätischer Stimme, Panos Voulgais spielt Gitarre und Christo Gagralis zupft die Bouzouki. Die drei sind gebürtige Griechen, die ihre spezielle Volxmusik »Rembetiko« schon im Blut haben. »Rembetiko« entstand im vergangenen Jahrhundert als Kneipenmusik der teilweise emigrierten Griechen mit türkischen und arabischen Einflüssen. In den 50er und 60er Jahren verarbeiteten die Griechen ihre Not nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Bürgerkrieg; sie thematisieren die Auswanderungswellen nach Europa und Übersee. In den 70er Jahren beginnen die Lieder politisch zu werden, besingen Freiheit und Revolution, setzen sich mit Folter, Mord und Exil während der Militärdiktatur auseinander.
Auch die Wurzeln der Bandmitglieder sind weit verstreut. Die Sängerin Jolanda kommt aus Athen, ihre Vorfahren lebten jedoch in Istanbul, das einst Konstantinopel hieß. Im Laufe der Zeit entwickelten sie ihre ganz eigenen Melodien. Die Texte handeln vom Leben in der Emigration, der Sehnsucht nach Freiheit oder der letzten Nacht in der Kneipe. Auch Gedichte werden vertont.
Seicht wie der Wind in der Mittagshitze wehen melancholische, gefühlvolle Klänge über den Hof, oft ein wenig schwermütig. Arabische und türkische Einflüsse in den Volxliedern sind nicht zu überhören. Herrlich sanft streicheln sie die Seele der Pressefestbesucher. Man spürt förmlich, dass die Künstler schon fast ihr ganzes Leben lang musizieren. Gemeinsam als »Artio Trio« treten sie allerdings erst seit zwei Jahren auf, spielen auf Hochzeiten, Privatveranstaltungen, in Kneipen oder auf öffentlichen Veranstaltungen wie dieser, die nicht nur ein politisches Fest ist, sondern auch ein musikalisches.
Über 500 begeisterte, tanzende und mitsingende ndLive-Besucher hatten bereits am Freitag Abend bei großartigen Auftritten von Lautaro & Freunden sowie Wenzel & Band gefeiert. »Halte dich von den Siegern fern«, »Immer fehlt was«, »Ich hab mein Vaterland so gerne« oder »Viva la Poesia« von Wenzels neuester Platte hatten es zwar schwer, Wort für Wort bis in die letzte Ecke des Hofes getragen zu werden, aber es waren so viele Fans des 59-Jährigen da, die mitsangen oder mittanzten, dass man das verschmerzen konnte. Wer den Akkordeonvirtuosen noch nicht kannte, wurde an diesem Abend garantiert sein Fan. Aber leider ging mit einem mächtigen »Ahoi, ahoi« auch dieses Konzert vorbei.
Neue Bewunderer haben sicher auch Thomas Putensen & Band gewonnen, Musiker aus Mecklenburg-Vorpommern, die in keine Schublade passen. Machen Jazz, Blues, Swing, Volkslied oder Coverversionen, bei denen man den Originalinterpreten vergisst - auch, wenn er Manfred Krug oder Gilbert Bécaud heißt. Die Lust dieser temperamentvollen Nordlichter sprang dann auch prompt von der Bühne auf die Zuhörer über.
Am Sonnabend Nachmittag erklingen dann noch einmal die traditionellen griechischen Melodien und geben etwas von ihrer Eleganz an die Umgebung ab. Plötzlich ist sie wieder da, die Meeresbrise zwischen den grauen Wänden, plötzlich drängen wunderbare Landschaften in die Erinnerung, die großartige Stimme der Sängerin trägt einen weit weg. Man kann den Lauschenden die Entspannung, die durch die Musik verbreitet wird, direkt ansehen. Der Band gelingt es, sie in ihren Bann zu ziehen. Beim nächsten Lied beginnt das Publikum ausgelassen zu klatschen. Diese Volxmusik verbindet. Jeder im Innenhof scheint angesteckt zu sein von ihrer Lebendigkeit. Die Hitze spielt lediglich eine Nebenrolle, vier Betonwände scheinen weniger grau, während man dem Zupfen der Bouzouki lauscht.
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