Kampf um das Holz der Karpaten
Unternehmen nutzen die schlechten Kontrollen in Rumänien aus - nun legt die Regierung eine Quote fest
Die marode Landstraße schlängelt sich zwischen den prächtigen Abhängen. Malerische Dörfer mit orthodoxen Kirchen liegen weit verstreut entlang des Wegs, der quer durch die Karpaten führt. Es ist regnerisch wie selten in Rumänien, die Gegend riecht nach nassem Wald. Einer nach dem anderen fahren Lkw ab dem Spätnachmittag bergab in Richtung Osten - alle sind voll beladen mit Baumstämmen.
Seit einigen Jahren gehört das zum Alltag in der Bukowina, einer Region im Norden Rumäniens. Erst gegen Mitternacht beruhigt sich der Schwerverkehr, regt man sich in den Dorfkneipen auf. Das sei auch der Grund, warum immer tiefere Schlaglöcher die Straße durchziehen. Der Unmut der Einwohner machte gerade die Runde und schaffte es bis in die Medien in der Hauptstadt Bukarest. Die Region ist wichtig für Rumänien, denn mit ihren Berglandschaften und alten Klöstern verfügt sie über ein erhebliches touristisches Potenzial.
Die Karpaten sind ein rund 1300 Kilometer langes Hochgebirge in Mitteleuropa, Osteuropa und Südosteuropa. Das Gebirge liegt zu unterschiedlich großen Teilen in Österreich, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Polen, die Ukraine, Rumänien und Serbien. In Rumänien überzieht das Gebirge das größte geschlossene Waldgebiet Europas. Hier finden sich mehr als ein Drittel aller in Europa noch wildlebenden Großraubtiere – Braunbären, Wölfe und Luchse. Über 3000 Wölfe sollen sich in den dichten Tannengehölzen aufhalten. Angst vor menschlichem Kontakt brauchten sie bislang kaum zu haben, große Gebiete sind unbesiedelt. Anfang des Jahres wurden 18 Bisons in den Südkarpaten ausgesetzt – sie sollen mithelfen, die Gegend attraktiver für Wanderer und Touristen zu machen.
Doch die Wälder und Lebensräume sind durch Abholzung gefährdet: Im Jahr 2003 haben sich sieben Karpatenländer zusammengeschlossen und die sogenannte Karpatenkonvention verabschiedet. Sie soll helfen, Tiere und Umwelt koordinierter zu schützen, die Wasserressourcen nachhaltiger zu nutzen und eine umweltfreundliche Land- und Forstwirtschaft zu gewährleisten. Auch Verkehrsinfrastruktur, nachhaltiger Tourismus sowie Programme zur Förderung des ökologischen Bewusstseins in der Bevölkerung stehen auf der Agenda. Über die Einhaltung der beschlossenen Regeln wacht derzeit ein Interimssekretariat des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen.
Zusätzlich wurde im Jahr 2011 in Bratislava ein Abkommen für nachhaltiges Forstmanagement unterzeichnet. nd
Unweit des Dorfs Pojorâta wurden die Tannen großflächig gefällt. Erst von einem höheren Punkt aus lässt sich das Ausmaß erkennen. Damit niemand anfängt, Fragen zu stellen, vermeiden die Holzfäller mittlerweile Stellen, die von der Straße sichtbar sind. Doch das dünn besiedelte Berggebiet bietet auch abseits der getretenen Pfade zahlreiche Möglichkeiten für den Kahlschlag im kleinen und großen Stil. Am Waldrand wird das Geräusch der Sägen und Äxte hörbar. Weiter oben stehen zwei Pferde - sie warten auf die nächste Ladung, die zur Landstraße getragen werden muss. Dort warten in der Regel bereits die Lkw. Die beiden Männer, die Tannen fällen, sind wortkarg. Sie seien Tagelöhner und arbeiteten im Auftrag eines Kleinunternehmens aus dem Dorf, erzählen sie dann doch. Ob die erforderliche Genehmigung vom Forstamt vorliege? Dies sei Chefsache.
Die zahlreichen Firmen aus der Region, die sich mit Forstarbeiten beschäftigen, behaupten stets, sie verfügten über alle Genehmigungen. Meist haben sie auch Recht - nur in den seltensten Fällen wird illegal ohne das Wissen der Behörden abgeholzt. Beim Forstamt hingegen heißt es typischerweise, die Tannen seien von Schädlingen oder Krankheiten befallen und dürften gefällt werden. Oder es habe einen Sturm gegeben und Aufräumarbeiten seien fällig.
Dass Aufräumen eher in den zuständigen Ämtern fällig und die Bekämpfung der grassierenden Korruption nötig wäre, gilt in Rumänien als offenes Geheimnis. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres haben Inspektionen aus der Kreisstadt Suceava in Dutzenden Fällen Anzeige gegen Forstbeamte und andere Angestellte erstattet. Doch die Missstände bei der Erteilung von Genehmigungen und bei der Markierung befallener Bäume bleiben systematisch.
Rumänische und internationale Umweltschutzorganisationen schlagen angesichts der Hochwasserkatastrophen in den Nachbarländern seit Monaten Alarm: Die Entwaldung der Karpaten schreite voran und könne auch in Rumänien zu solchen Desastern führen. Deshalb müsse die Regierung das Phänomen so bald wie möglich in den Griff bekommen, argumentiert Magor Csibi von der Umweltstiftung WWF. Jede Stunde verschwinden in Rumänien durchschnittlich drei Hektar Wald, zeigt eine Studie der Umweltorganisation Greenpeace. Die illegal abgeholzten Parzellen betrugen laut einem Bericht des rumänischen Rechnungshofs seit der Wende fast 400 000 Hektar - das sind rund sechs Prozent der gesamten Waldfläche des Landes. Den dadurch entstandenen Schaden schätzt die Behörde im konservativsten Szenario auf über fünf Milliarden Euro. Und nirgendwo sei die Situation gravierender als im Landkreis Suceava, berichteten die Beamten Ende vergangenen Jahres. Grund dafür ist vor allem das Geschäft mit dem Holz, einer Ware, die sich lukrativ exportieren lässt.
Rund 75 Kilometer nordöstlich von Pojorâta in der Kleinstadt Rădăuţi befinden sich zwei große Verarbeitungswerke: die Holzindustrie Schweighofer und Egger. Beide gehören österreichischen Unternehmern, die in den letzten Jahren zu Marktführern der rumänischen Holzbranche geworden sind, Wirtschaftskrise hin oder her. Für die meisten Lkw aus den Karpaten endet die holprige Fahrt hier: Die Baumstämme werden auf dem riesigen Schweighofer-Fabrikgelände entladen, automatisch nach Kaliber und Qualität sortiert, Maschinen entfernen dann die Rinde und legen das Material wieder auf das Fließband, das sie zur Fabrikhalle führt. Dort werden die besten Tannen zu Schnittholz verarbeitet, den Rest und die Abfälle zerkleinern die Maschinen zu Pellets, zu Hackschnitzeln für die österreichische Papierindustrie oder zu Biomasse für die Energieerzeugung in Deutschland.
Das Endprodukt wird anschließend verpackt und auf Waggons geladen - täglich verlassen mehrere Güterzüge das Werk in Richtung Mitteleuropa oder Constanţa. Hier im Schwarzmeerhafen wird die Fracht auf Container umgeladen und für den Export fertig gemacht. Rund 80 Prozent der Produktion von Schweighofer landet einige Wochen später in Westeuropa, den USA, Japan oder Saudi-Arabien.
Inhaber und Geschäftsführer Gerald Schweighofer kommt öfter nach Rădăuţi, um sein Werk zu besuchen und mit den Mitarbeitern die Produktions- und Vertriebslage zu besprechen. Rund 2500 Beschäftigte arbeiten in den vier Fabriken des Unternehmens in Rumänien, die jährlich fast drei Millionen Kubikmeter Baumstämme verarbeiten. Der Umsatz der rumänischen Tochterfirma betrug vergangenes Jahr 550 Millionen Euro, im ostsiebenbürgischen Ort Reci befindet sich gerade ein Werk im Bau.
Natürlich gebe es ein Problem mit der pseudolegalen Abholzung in Rumänien, gibt Schweighofer zu: Es wird eigentlich mehr gefällt, als erlaubt ist. »Das Problem ist die Kontrolle und die Durchsetzung der Bestimmungen. Wir können nicht den Staat spielen und die ganze Lieferantenkette bis ins letzte Detail kontrollieren«, sagt der Unternehmer. »Wir waren immer für die Stärkung der Forstbehörden und dafür, dass die korrupten Beamten ins Gefängnis gehen.«
Mit diesem letzten Punkt wären auch Umweltschützer einverstanden. Sie behaupten jedoch, dass Unternehmer wie Schweighofer systematisch und wissentlich von der illegalen Abholzung profitieren. Ende April präsentierten Vertreter der Nichtregierungsorganisation »Environmental Investigation Agency« Beweise: Aktivisten, die sich als ausländische Waldbesitzer ausgaben, boten Schweighofer-Mitarbeitern Baumstämme an und erklärten, dass sie nicht alles dokumentieren könnten. Darauf hieß es, dies sei kein Problem. Das heimlich aufgenommene Video des Gesprächs machte die Runde in rumänischen Medien und sozialen Netzwerken. Die Empörung war umso größer, als das Parlament in Bukarest seit Wochen über eine Reform des Forstgesetzes debattiert - und nach Auffassung der Umweltschützer dabei war, auf Druck der Holzindustrielobbyisten neue Schlupflöcher einzubauen.
In letzter Minute machte die Regierungskoalition um den sozialdemokratischen Premier Victor Ponta einen Rückzieher und verabschiedete eine neue Bestimmung, die jeder Firma die Verarbeitung von maximal 30 Prozent der landesweiten Gesamtproduktion für die jeweilige Baumart erlaubt. »Schließlich gab es vor kurzem mit dem umstrittenen Goldbergbauprojekt in Rosia Montana und mit der Schiefergasförderung durch Fracking zwei Präzedenzfälle, in denen die Zivilgesellschaft die umweltschädigenden Vorhaben direkt oder indirekt stoppen konnte«, erklärt Magor Csibi vom rumänischen Ableger des WWF. »Die Regierung Ponta hat die Lehren daraus gezogen und setzt jetzt auf eine relative Versöhnung mit der neuen Bukarester Ökobewegung, die nicht zu ihrer Stammwählerschaft gehört, sondern weitgehend das bürgerliche Lager unterstützt«, kommentiert der linke Publizist und Blogger Costi Rogozanu. »Es ist angesichts der Parlamentswahlen Ende 2016 keine schlechte Strategie.«
Der wirtschaftsliberale Staatspräsident Klaus Johannis lehnte es überraschend ab, die 30-Prozent-Quote zu unterschreiben - und zog damit den Ärger nicht nur der Umweltschützer auf sich. Sein Einwand, die Bestimmung führe zu einer Verzerrung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, entspricht der Argumentationslinie der Holzindustrie. Dies erweckte bei vielen Aktivisten den Verdacht, der Präsident diene den Interessen der mitteleuropäischen Unternehmen. Vor wenigen Wochen gingen in Bukarest und anderen Großstädten hunderte Menschen auf die Straße, um gegen die Abholzung und für die 30-Prozent-Quote zu demonstrieren. Für Johannis ist das der erste Imageschaden seit seinem Wahlsieg Ende 2014.
»Die Quote an sich löst das allgemeine Problem der Entwaldung nicht«, gibt Csibi zu. »Letztendlich ist es egal, ob viele kleine Unternehmen oder nur wenige große vom Kahlschlag profitieren. Wir fordern jedoch die Quote als Maßnahme in einer Notsituation.«
Das Parlament gab Mitte Mai den Aktivisten recht: Die Abgeordneten verabschiedeten die Bestimmung erneut, damit war der Präsident verpflichtet, sie doch noch zu unterschreiben.
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