Muslime im Landtag
Bayerische Abgeordnete hören sich Erfahrungen an
»Zuerst waren meine Eltern Gastarbeiter, dann waren sie Türken, dann Ausländer«, sagt Mehmet Sapmaz. »Und jetzt sind sie Muslime.« Sapmaz war früher CSU-Stadtrat in Erlangen. Am Dienstagabend sind er und über hundert andere Muslime in den Landtag gekommen, um den Abgeordneten Grundsätzliches zu erklären. Als kommunalpolitisch aktives CSU-Mitglied darf Sapmaz als Musterbeispiel für gelungene Integration gelten, genauso wie die meisten anderen Gäste. Die Politiker reden vergleichsweise wenig, Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sitzt im Publikum und hört zu, ohne sich zu melden. Das Wort haben tatsächlich die Landtagsgästen. Die Idee zu der Veranstaltung kam von SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher.
Sapmaz’ Argument wird in unterschiedlicher Form von vielen Diskussionsteilnehmern vorgebracht: In der Wahrnehmung der Bevölkerungsmehrheit hat die Religion inzwischen einen Stellenwert erreicht, den sie früher nicht hatte - und der viele nervt. »Wenn irgendwo ein Anschlag auf der Welt passiert, bete ich zu Gott, dass es kein Muslim war«, sagt Sapmaz. Und hinter der mit Misstrauen betrachteten Religion verschwindet in der Wahrnehmung dann oft der Einzelne.
»Eigentlich bin ich ein ganz normaler Mensch«, erklärt die Münchner Filmstudentin Suli Kurban den Abgeordneten. »Und dann habe ich halt die Religion.« Sie ist die Tochter uigurischer Flüchtlinge aus Xinjiang - einer Region, in der viele Muslime einen ziemlich laxen Islam praktizieren. »Manchmal frage ich mich: Was sind eigentlich Muslime? Sind wir eine besondere Spezies?« sagt Kurban. Sie berichtet, dass sie im vergangenen Jahr erstmals das Ramadan-Fasten praktizierte - auf Anregung des Bayerischen Rundfunks für ein Videoprojekt.
Die Auswahl der Gäste ist sicher nicht repräsentativ. Politiker kennen überwiegend andere Politiker, und so haben die Abgeordneten überdurchschnittlich viele Kommunalpolitiker eingeladen. Viele sagen, dass sie sich in Bayern wohlfühlen und dass die Gesellschaft Fortschritte gemacht habe, einige reden von der bayerischen Heimat. Doch das Grundproblem sprechen auch sie an: »Du bist Türke und du bist Moslem. Man muss sich erstmal rechtfertigen«, sagt Serdar Duran, JU-Ortsvorsitzender in München. »Dabei lebt Bayern grundsätzlich von dieser Vielfalt.«
Und manches, was gut gemeint ist, kann auch den gegenteiligen Effekt haben. So führten die Deutschförderkurse und Integrationsklassen in den Grundschulen dazu, dass die Kinder frühzeitig aussortiert würden, meint eine aus Nordirak stammende Lehramtsstudentin. »Dadurch haben sie eine Stigmatisierung, die zieht sich durch das ganze Leben.«
Die Veranstaltung kommt bei den Gästen gut an. Doch ob ihre Erfahrungen repräsentativ sind, darf bezweifelt werden. »Das sind die Eliten (unter den Einwanderern)«, meint eine Allgäuer Studentin. So habe eine Freundin wegen ihres Kopftuchs den Job verloren, berichtet sie. Von den Politikern findet Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger die offenste Formulierung: »Migrationshintergrund, das klingt ein bisschen wie ein Kratzer im Lack.« dpa/nd
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