»Ich hätte es anders gemacht als Markus Rehm«
Die deutschen Meisterschaften der paralympischen Leichtathleten in Berlin müssen auf ihren Star verzichten
Es war die schmerzvollste Absage, die die Organisatoren erhalten konnten. An jene aus Indien, Singapur oder Ghana hatten sie sich in den vergangenen Jahren schon gewöhnt. Dass aber auch Markus Rehm in Berlin nicht an den Internationalen Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften (IDM) teilnimmt, kostet die Veranstalter das Aushängeschild des deutschen paralympischen Sports. Jenem Athleten, der - je nach Ansicht des Betrachters - trotz oder wegen seiner Prothese am Unterschenkel so weit springt wie nichtbehinderte Sportler, schmerzt das Knie.
Bis zum Sonntag werden nun andere die Zuschauer in den Jahn-Sportpark locken müssen. Andere wie Vanessa Low. Sie ist wie Rehm Weltrekordlerin im Weitsprung, allerdings kommt Low als doppelt oberschenkelamputierte Athletin mit 4,60 Meter nicht wie der Leverkusener an die Weiten der Nichtbehinderten heran. Sie wird also nicht ständig verglichen, ihre Leistungen werden nicht nur auf die Federkraft ihrer Prothesen reduziert. »Ich will nicht mit Markus tauschen«, sagte sie fast schon erleichtert am Tag vor den Meisterschaften, bei denen Low auch über 100 und 200 Meter sprinten wird.
Athletinnen wie Low sind es, die den sportlichen Leiter der IDM, Ralf Otto, trotz der Absage Rehms noch von »einer sehr guten Beteiligung« sprechen lässt. Von den acht Grand-Prix-Meetings 2015 sei Berlin das am besten besetzte. Spannende Duelle und gute Leistungen könnten die Zuschauer also immer noch erwarten, schließlich wollen sich viele internationale Stars noch für das Grand-Prix-Finale in London qualifizieren. Andere sprinten um Normen für die WM in Katar. »Wir haben immer mehr Starter, so dass wir einen Lauf nach dem anderen sehen werden«, sagt Otto, der hofft, dass ihn kein Regen zu einer Pause zwingen wird.
Auf den kann auch Low verzichten, denn je nasser die Bahn, desto schwieriger ist das Laufen auf ihren Prothesen. »Einen Sieg hätte ich schon gern«, bringt sie ihre Ziele für Berlin auf einen Punkt. Dafür habe sie in den USA die vergangenen Monate über hart gearbeitet. Nach den Paralympics 2012 hatte Low das schon beschlossene Karriereende noch mal verschoben und war von Leverkusen nach Oklahoma City gezogen. Sie lernte, ihre Grenzen neu auszuloten. Aus »Das kann ich nicht« wurde »Das kann ich noch nicht«. Das Training wurde härter, doch nun springt sie weiter. Auf die finanzielle und medizinische Rundumförderung in Deutschland muss sie verzichten, der andere Weg brachte sie letztlich aber doch voran.
Auch im Fall Rehm wäre Low einen anderen Weg gegangen. »Ich hätte es nicht so gemacht«, sagte sie in Berlin. »Er kann unseren Sport natürlich mehr in die Öffentlichkeit bringen. Mehr Aufmerksamkeit ist gut. Die Leistungen haben auch angezogen. Aber ich hätte es an seiner Stelle wohl gar nicht darauf ankommen lassen.« Low wäre nicht gegen Nichtbehinderte angetreten, da sie immer Fan der »reinen Leichtathletik« gewesen sei: »Wer am besten trainiert und am schnellsten läuft, der gewinnt. Wenn Technik damit in Verknüpfung kommt, finde ich das unglücklich für die Leichtathletik«, sagte sie. Bedenken könne sie daher verstehen. »Das ist aber nur mein persönliches Ideal. Ich habe also nichts gegen das, was Markus macht«, stellt sie klar.
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