Wider die Umdeutungen!
Kommentar zum 70. Jahrestag der Befreiung: Russland einbeziehen
Bei allem Verständnis für die Schrecken und Ungerechtigkeiten, die den ostmitteleuropäischen Staaten durch die sowjetische Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg widerfahren sind, kann es bei den Ereignissen von 1945 keine geschichtliche Umdeutung geben. Tatsache bleibt, dass das damals kommunistische Russland durch eine unvorstellbare militärische Willenskraft und gesellschaftliche Aufopferungsbereitschaft den höchsten Blutzoll unter den Alliierten bei der Niederschlagung des Hitlerfaschismus erbracht hat. In den heutigen Ländern Russland, Ukraine und Weißrussland verübten deutsche Soldaten die größten Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung. Alleine aus diesem Grunde sollte die Bundesrepublik dem 70. Jahrestag des sowjetischen Sieges über Nazideutschland mit Ehrfurcht begegnen.
Fehl am Platze sind Versuche, Russen und Ukrainer auseinanderzudividieren, indem etwa behauptet wird, die Befreiung von Auschwitz sei weniger auf die Leistung von Russen als auf die ethnischer Ukrainer zurückzuführen. In diesem Jahr gedenkt Deutschland des 25. Jahrestags der Wiedervereinigung nach dem Fall der Berliner Mauer. Wir dürfen bei allen Streitigkeiten, die wir heute mit Moskau haben, nicht vergessen: Russland war ein Fürsprecher unserer Wiedervereinigung, weil Michail Gorbatschow sehr gut verstand, dass nur über eine positive Lösung der deutschen Frage der künftige Frieden in Europa gesichert werden könne. Jetzt steht Europa vor der Herausforderung, dass die bisherige Sicherheitsarchitektur Risse bekommt.
Russland will zu Europa gehören, kann aber weder der NATO noch der EU beitreten – den beiden Pfeilern der europäischen Ordnung. Nun sind wahrlich kluge Köpfe gefragt, um eine neue tragfähige Strategie für einen künftigen gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsraum vom Atlantik bis zum Pazifik zu schaffen. Ich sehe keine Alternative zu einem solchen Konzept.
Der Kommentar erschien in WeltTrends Nr. 103 »Athen auf neuen Kurs« (Mai 2015).
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