Europa zum Mitmachen
Die Exilkatalanin Naiara García Gomez über Krisenproteste, »Europa.Anders.Machen.« und den Aufbau von Basisdemokratie
Sie sind vor zwei Jahren aus Spanien nach Berlin gezogen und organisieren hier Krisenproteste. Sehen Sie sich als Krisenmigrantin?
Ich weiß nicht, ob ich eine typische Krisenmigrantin bin. Ich bin für ein Auslandssemester nach Berlin gekommen. Dann habe ich Arbeit gefunden. Natürlich ist das hier einfacher als in Spanien. Sogar für ein Praktikum wurde ich bezahlt. In Barcelona bekommen die meisten meiner Kollegen zu wenig Lohn für zu viel Arbeit. Und viele meiner Freunde sind arbeitslos oder aus Spanien weggegangen, um Arbeit zu finden.
In Barcelona beteiligten Sie sich an den 15M-Protesten gegen die Sparpolitik der spanischen Regierung. Wie unterscheiden sich die Krisenproteste in Spanien von denen in Deutschland, wie etwa Blockupy?
Das kann man nicht vergleichen. Die Blockupy Proteste oder die jetzige Demo werden von erfahrenen Aktivisten organisiert. Bei 15M haben alle Leute mitgemacht, politisiert oder nicht. Leute mit guter Arbeit, schlechter Arbeit, ohne Arbeit. Es war eine breite Bewegung von unten. Die Leute hatten ganz einfach keine Angst mehr, deshalb haben sie protestiert, Tag und Nacht.
Würden Sie sagen, Blockupy ist zu stark von professionalisiertem Aktivismus geprägt?
Vielleicht, aber das liegt an den sozialen Verhältnissen hier. Man kann einen Kampf wie 15M nicht auf Deutschland übertragen. Hier gibt es weniger Arbeitslosigkeit, es ziehen keine Leute aus finanziellen Gründen aus Deutschland weg.
Sie beteiligen sich an den Vorbereitungen für die Demonstration »Europa.Anders.Machen.« am 20. Juni in Berlin. Wird das eine typische Griechenland-Solidaritätsaktion?
Die Demonstration hat einen neuen Ansatz gefunden. In der Vorbereitung gab ein großes Interesse an der Mitarbeit migrantischer Gruppen wie 15M Berlin, wir wurden stark mit einbezogen. Es wird versucht, die sozialen Bewegungen in Deutschland zusammen zu bringen: Die Krisenmigranten mit Leuten, die gegen steigende Mieten kämpfen, mit Schülern und mit Prekarisierten. Ich hoffe, dadurch kommen auch viele Leute, die nicht schon politisch organisiert sind.
Im Aufruf wenden sich die Organisatoren sowohl gegen die Erpressung Griechenlands, als auch gegen die tödliche Abschottungspolitik der EU. Wie passen diese beiden Themen zusammen?
Wir wollen Europa anders machen, und das heißt für mich: ohne EU. Das ist ein gemeinsamer politischer Gegner. Denn die tödliche Politik gegen Migranten und Flüchtlinge kommt ebenso von der EU und den europäischen Eliten wie die Austeritätspolitik. Und Deutschland spielt darin eine führende Rolle.
Wirtschaftlich gewinnt Deutschland von der Krise in Europa. Wie kann man hier Krisenproteste organisieren – gibt es hier überhaupt Betroffene von EU-Politik?
Im Zuge der Krise wurden auch hier Gesetze verabschiedet, unter denen EU-Migranten leiden. Seit 2014 gilt, dass Zugezogenen aus EU-Mitgliedsstaaten nicht in Deutschland bleiben dürfen, wenn sie länger als sechs Monate keine Arbeit finden. Das ist ein Problem, weil du natürlich nach fünf Monaten ohne Arbeit jeden Job annimmst, auch wenn er sehr schlecht bezahlt ist. Nur, um nicht wegziehen zu müssen. Dazu arbeitet 15M in aktuell in der Plattform, »People in Movement«.
Also sind die Betroffenen von der Krise in Deutschland eher die Migranten?
Die Situation von Migranten ist von der allgemeinen Prekarisierung nicht zu trennen. In unserer gewerkschaftlichen Aktionsgruppe arbeiten wir mit migrantischen Pflegerinnen, die sich in Knebelverträgen dazu verpflichtet haben, zwei Jahre zu bleiben. Wenn sie früher kündigen, müssen sie 6000 Euro Strafe zahlen. Das hat Folgen für die deutschen Pflegekräfte, denn es schafft Arbeitsdruck und Konkurrenz. Wir können also nur gemeinsam gegen die prekären Verhältnisse kämpfen. Das soll unser Bewegungsblock »We are the crisis!« am 20. Juni ausdrücken.
Nicht nur die sozialen Bewegungen, auch Parteien wie Podemos Berlin und die LINKE beteiligen sich an der Demonstration.
Diese Parteien sind schwer vergleichbar. Die Philosophie von Podemos ist, Politik partizipativ zu gestalten. Und in der Partei sind nicht die üblichen Politiker, sondern neue Leute, die vorher noch nie Politik in parlamentarischen Strukturen gemacht haben. Im Vergleich zur LINKEN ist Podemos politisch offener, sie verbindet ganz unterschiedliche Strömungen.
Ändert Podemos durch die basisdemokratische Orientierung das parlamentarische System in Spanien?
Der basisdemokratische Ansatz von Podemos ist nichts Neues – die katalanische CUP (Candidatur d›Unitat Popular – Kandidatur der Volkseinheit) arbeitet schon seit 1986 mit Basisversammlungen. Interessanter als Podemos selbst finde ich die Bürgerplattformen, über die Kandidaten von Podemos, aber auch andere sich zur Regionalwahl gestellt haben. Unabhängig von ihrer Partei oder Initiative konnte man diese Kandidaten direkt wählen. Gleichzeitig wurde in Versammlungen über ihre politischen Vorschläge diskutiert. So wird die Bevölkerung stärker in die Politik eingebunden, in den Städten wie in Dörfern.
Welche Chancen sehen Sie für Podemos bei den Wahlen im Herbst – kann die Partei europäische Machtverhältnisse verschieben?
Ich weiß nicht, ob Podemos eine ernsthafte Chance hat, die Parlamentswahlen zu gewinnen. Es gibt nicht unbedingt eine Mehrheit für einen wirklichen Systemwechsel in Spanien. Im Moment sehe ich für einen Kurswechsel in Europa vor allem die Bewegungen in der Pflicht, Druck zu machen und Alternativen aufzubauen.
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