Immer voll auf die Zwölf
Zwei Akkorde sind besser als drei: Die australischen Hau-Ruck-Rocker AC/DC gastierten im Berliner Olympiastadion
Am Anfang das obligatorische funkensprühende Feuerwerk, als die Band die Bühne des Olympiastadions betritt, dann geht es los: Reng, Deng, Rums, Bums. »Rock or Bust«. Es ist aber egal, welcher Song erklingt. Am Ende, zwei Stunden später, werden wie immer Kanonen auf der Bühne zu »For those about to rock« Böllerschüsse abgeben. Denn ein Konzert von AC/DC verläuft nach einer eisernen bewährten Choreographie. Alles muss seine Ordnung haben.
Viel Schweiß fließt an diesem Abend im Berliner Olympiastadion. Schweiß von betrunkenen Männern, die zwischen 45 und 65 sind und die kleine rote blinkende Teufelshörnchen aus Plastik auf dem Kopf tragen, weil alle anderen das auch tun. Viele von ihnen fühlen sich wohl, denn heute ist ihr Tag. Bratwurst- und Biertag, AC/DC-Tag. Der Tag, an dem sie archaischen Männlichkeitsritualen nachgehen können: Wildpinkeln, Fäuste ballen, Sprechchöre grölen.
Dass dem, was bis heute unter der Bezeichnung »Rockmusik« firmiert, vor einigen Jahrzehnten noch eine gewisse Form der Renitenz zugeschrieben wurde, ist erklärbar: Eltern oder Großeltern, Vorgesetzte und Lehrer regten sich noch auf über die »Katzenmusik« der Langhaarigen und deren mal mehr, mal weniger antibürgerliches Gebaren. »Das ist doch primitiv, das ist doch immer das gleiche, was die spielen!« Mochte sein. Reng, Deng, Rums, Bums. Es war simpel. Und es war laut. Beides war gut. Wenigstens fühlte es sich gut an, damals. Es war Hardrock. Vorher gab es das nicht, vorher gab es Roy Black und Peter Alexander.
Ende der 70er Jahre, als AC/DC mit ihrem Konzept eines stabil gebauten, minimalistischen Eins-Zwei-Haudraufrock vor allem unter jungen Männern immer populärer wurden, genügten noch eine Grimasse, ein paar elektrisch verstärkte Gitarrenakkorde, um auszuscheren aus dem verhassten Alltagstrott der reglementierten Langweilerwelt, um ein paar böse Blicke der Erwachsenen zu bekommen. Dass der junge Gitarrist Angus Young in den Siebzigern begann, bei Auftritten eine Schuluniform zu tragen, signalisierte zweierlei: Entweihung und Verhohnepipelung (der heilige Ernst eurer Kleiderordnung ist lächerlich).
Heute, wo er 60 Jahre alt ist, ist seine Uniform ein AC/DC-Markenzeichen, ähnlich wie das gelbe M eines großen Fastfoodkonzerns. Mit seiner Band inszeniert Young eine Art Leistungsschau des Rockhandwerks, bei der im Bühnenvordergrund er selbst und der Sänger Brian Johnson als Leistungsträger agieren: das hyperaktive Aufziehmännchen und der breitbeinig umherstaksende und Fäuste ballende, ungelenke Typ im Lastwagenfahrer-Look, dessen Stimme zwei Stunden lang klingt, als stecke sein Fuß in einem zugeschnappten Tellereisen fest.
Eigentlich ist die ganze Band AC/DC eine gut funktionierende Rock-Fabrik, ein Markenprodukt, wie Schiesser-Unterwäsche oder Volkswagen. Man produziert seit Jahrzehnten mehr oder weniger dieselbe Ware, einen supersimplen Zwei-Akkorde-Rock, und man verkauft sie gut. Bodenständigkeit, Beständigkeit, Tradition, Geradlinigkeit. Ironie gibt es hier genauso wenig wie bei einem erfolgreichen mittelständischen schwäbischen Unternehmen. Die Kunden sind zufrieden. Böte man ihnen nicht das Gewohnte, würden sie sich beschweren. Und das kann niemand wollen. Schließlich geht es um Kundenzufriedenheit. Die steht an erster Stelle. Bei Coca-Cola käme auch keiner auf die Idee, die Rezeptur zu ändern. Ein Hamburger muss zuverlässig wie ein Hamburger schmecken. Ein AC/DC-Riff muss wie ein AC/DC-Riff klingen: schlicht, wiedererkennbar. Reng, Deng, Rums, Bums.
Angus trägt also bis heute auf der Bühne eine knallrote Schuluniform. Was natürlich hochgradig albern ist, aber die Alterslosigkeit des gebotenen Markenprodukts betonen soll: Wir sind genau wie immer, ihr seid genau wie früher. AC/DC macht die Jugend froh / Und Erwachsene ebenso. Mein AC/DC? Dein AC/DC? AC/DC ist für uns alle da. Reng, Deng, Rums, Bums.
Malcolm Young, 62 Jahre alt, der gemeinsam mit seinem Bruder Angus die Gruppe AC/DC gründete und von dem wohl die meisten der charakteristischen Gitarrenriffs stammen, ist heute bei Konzerten nicht mehr mit von der Partie. Er leidet unter einer Demenzerkrankung, die ihn zum Aufenthalt in einem Pflegeheim zwingt. Ersetzt wurde er durch seinen Neffen, der allerdings auch nicht ganz taufrisch wirkt.
Angus Young aber, der sich im Laufe des Konzerts mehr und mehr entkleidet, ist alterslos. Gut, man kann sehen, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Doch er windet sich in spastischen Zuckungen wie eh und je, läuft fortwährend zappelphilippartig auf der Bühne hin und her, schnauft, macht mit seinem Mund nahezu ununterbrochen Bewegungen, als würde er permanent nach Luft schnappen wie ein Ertrinkender, zeigt gelegentlich mit dem Finger unbestimmt nach oben, als wolle er sagen: »Gebt fein acht, es kommen noch ein paar unserer supersimplen, supergeilen Knochenbrecherakkorde, Gott ist mein Zeuge.« Am Ende des Konzerts steht der nassgeschwitzte kleine rumpelstilzchenartige Mann halbnackt, nur bekleidet mit Schuhen, Socken und seinem schweißnassen roten kurzen Schulbubenhöschen, auf einer Wand aus Marshall-Verstärkern und werkelt an einem nicht enden wollenden Gitarrensolo. Auf seinem Gesicht kleben noch Glanzpapierschnipsel, denn vorhin, als er sich - allein auf einem Podest, das vor der Bühne nach oben gefahren wurde - auf dem Rücken liegend hin- und herwarf, wurden aus neben dem Podest angebrachten Kanonen ein paar Kilo Glanz- und Glitzerpapierschnipsel in die Luft geschossen. Spaß muss sein. Angus ist der Gitarrengott. Und er opfert sich für uns. Für seine Jünger, deren Plastikhörnchen munter blinken in der Nacht. Reng, Deng, Rums, Bums.
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