Linke sieht Spanien im »Vorzimmer des Faschismus«
Neues Gesetz sieht drastische Strafen für Protestaktionen vor / Breites Bündnis wehrt sich gegen den Demokratieabbau
In luftiger Höhe hängt am frühen Dienstag an einem Baukran über dem spanischen Parlament in Madrid ein riesiges Transparent mit der Aufschrift: »Protest ist ein Recht«. Aktivisten von Greenpeace hatten es befestigt. Bei 40 Grad harrten sie in praller Sonne bis zum Mittag aus, um gegen das »Gesetz zur Sicherheit der Bürger« und die Strafrechtsreform zu protestieren, die diesen Mittwoch in Kraft treten. Die Kletterer stiegen vom Kran, wurden von der Polizei festgenommen, kündigten aber an, sich an der Demonstration am Abend zu beteiligen.
Wie die gesamte Opposition spricht auch Greenpeace vom »Knebelgesetz« der rechten Volkspartei (PP). Seit dem Entwurf habe man dafür gekämpft, »dass das Vorhaben nicht umgesetzt wird«. Greenpeace verweist auf das breite Bündnis mit Richter- und Polizeivereinigungen, sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Parteien und die »Verpflichtung der wichtigsten politischen Kräfte, es zu schleifen, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament ändern«. Gehofft wird auf das Verfallsdatum im November, wenn Parlamentswahlen stattfinden. Der Absturz der PP bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai lässt viele hoffen, denn sie büßte die Macht in fast allen Regional- und vielen Stadtparlamenten ein.
Gegen das Gesetz gab es zuletzt erneut viele Proteste, an denen sich auch Persönlichkeiten wie der Sänger Sabina beteiligten. Mit Knebel im Mund hielt auch er ein Schild hoch. Darauf stand: »Auf Wiedersehen, Demokratie«. Dass der Rückwärtsgang in Richtung Diktatur eingelegt werde, von der sich die PP nie distanziert hat, meinen auch die »Richter für Demokratie«. Dass für friedliche Proteste drakonische Geldstrafen drohen, sei »autoritär und unnötig« und erinnere »an Zeiten der Franco-Diktatur«, erklärte die Vereinigung. Für den früheren Chef der Vereinten Linken (IU) befindet sich Spanien im »Vorzimmer des Faschismus«. Für Julio Anguita wohne man einem »Staatsstreich in Zeitlupe« bei. Für friedliche Proteste drohen nun auf administrativer Ebene, ohne Urteil eines Richters, Geldstrafen bis zu 600 000 Euro, wenn an »wichtigen Einrichtungen« protestiert wird. Proteste an Atomkraftwerken könnten Greenpeace in Zukunft also viel Geld kosten. Gemeint sind auch Verkehrsknotenpunkte, praktisch kann jeder Teilnehmer einer nicht genehmigten oder spontanen Demonstration ökonomisch vernichtet werden. Sogar für das Stören von Sportveranstaltungen, spontane Sitzstreiks bei Zwangsräumungen oder für Fotografieren der Polizei bei Übergriffen drohen Strafen bis zu 30 000 Euro.
Gegen das Gesetz hat die Opposition Verfassungsklage eingelegt, die gerade auch angenommen wurde. Geklagt wird auch gegen den später eingefügten Paragrafen, der »heiße Abschiebungen« an den Grenzen der Exklaven Ceuta und Melilla legalisiert. Weil das bisher illegal umgesetzt wurde, wird gegen Polizisten ermittelt. Die hatten sogar schwer verletzte Flüchtlinge nach Marokko zurückgebracht, die die mit scharfem Klingendraht bewehrten hohen Grenzzäune überwunden hatten.
Die im Mai für Podemos ins Madrider Regionalparlament gewählt Sprecherin der Gruppe »Wir sind kein Delikt«, erklärte dem »nd«, dass das Gesetz nur Teil eines repressiven Pakets sei. Die Strafrechtsexpertin Lorena Ruiz-Huerta verweist auch auf die Strafrechtsreform. Demnach kann fast jedes angeblich »schwere Delikt« als Terrorismus gewertet werden. Das gilt sogar, wenn ein »öffentliches Verkehrs- oder Transportmittel« wie ein Bus »in Besitz« genommen wird oder für den Fall der »Störung der öffentlichen Ordnung«.
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