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Ende der bleiernen Zeit

Eine Bilanz des Filmfestes in München

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 5 Min.

Es gibt Hoffnung für den deutschen Film. Eine junge Generation tritt an, um mit leichter Hand und humorvollem Blick ihre Geschichten zu erzählen. Zu ihrer Leistungsschau hat sich in den vergangenen Jahren das Münchner Filmfest entwickelt. In seinem 33. Jahrgang bot es über zehn Tage 40 Uraufführungen. 36 stammen aus Deutschland, die eine Hälfte der Filme wird in den kommenden Monaten ins Kino kommen, die andere ihr Publikum auf dem Bildschirm suchen. Wobei einige Fernsehfilme künstlerisch und inhaltlich einen stärkeren Eindruck hinterließen als die Kinofilme. Das gilt insbesondere für Urs Eggers »Brief an mein Leben«, einer sehr freien Depressionsstudie nach Miriam Meckels gleichnamigem autobiografischem Buch. Marie Bäumer liefert eine überragende Performance als überlastete Karrierefrau, die sich nach einem Burn-Out selbst in die Klinik einweist.

Überzeugend auch Lars Kraumes »Familienfest«, eine Tragikkomödie um den 70. Geburtstag eines weltbekannten Pianisten und Haustyranns, der alle mit seinem Humor angreift. Seinen Söhnen ist es nie gelungen, sich aus seinem Schatten und dem Leistungsdruck zu befreien.

Neben Kraume und Eggers zierten weitere Namen von renommierten TV-Regisseuren die Premieren dieser Reihe. Während die Österreicher Paul Harather und Wolfgang Murnberger ebenso wie Kraume zwischen Kinoleinwand und Mattscheibe pendeln, setzten Hans Steinbichler, Aelrun Goette, Friedemann Fromm und Lars Becker vor Jahren im Kino mit gewagten Dramen und Dokumentarfilmen Achtungszeichen. Und mussten leider aufgeben. Zu mühselig wohl die Bettelei um die Finanzierung ihrer Wunschprojekte. Mittlerweile haben sie sich – ebenso wie die in München gefeierten Regisseure Matti Geschonnek und Kai Wessel – mit herausragenden TV-Produktionen einen Namen gemacht. Sie beobachten sehr genau die Verwerfungen der Gesellschaft und legen den Finger in die Wunden. Ihre Filme besitzen eine handwerkliche Qualität und inhaltliche Relevanz, die manchem Kinofilm fehlt.

Der mit 25.000 Euro dotierte Bernd Burgemeister-Preis für das Beste TV-Movie ging an einen jüngeren Regisseur, an Kilian Riedhofs »Der Fall Barschel« mit Alexander Fehling in der Hauptrolle als junger Journalist, der jahrelang vergeblich versucht, die Hintergrund des Todes des Ministerpräsidenten aus Schleswig-Holstein aufzuklären, der 1987 in einem Genfer Hotel tot in der Badewanne gefunden wurde.

Angesichts der großen Namen des deutschen TV-Films ist es beinahe ein wenig unfair, die Werke der Reihe »Junges Deutsches Kino« mit diesen Filmen zu vergleichen. Einzig Dietrich Brüggemann (Kreuzweg) muss sich dem stellen. Mit »Heil« inszeniert der Berliner seine erste Komödie. Mit viel Klamauk, zündenden Gags und Sinn für Situationskomik entlarvt er die geistige Armut von Repräsentanten der rechten Szene, aber auch die Linken in ihrer Uneinigkeit und Paranoia bekommen ebenso wie die unselige Talk-Show-Flut ihr Fett weg. Ein mutiges Experiment, wenn auch nicht ganz rund. Brüggemann vernachlässigt das Schicksal seiner Hauptfigur, einen Deutschen dunkler Hautfarbe mit Uniabschluss, dem nach einer Auseinandersetzung mit rechten Schlägern das Gedächtnis fehlt. Außerdem wurde ihm ein Hakenkreuz auf die Stirn gebrannt.

Auch andere junge Regisseure laden die Zuschauer zum Mitweinen und vor allem Mitlachen mit ihren Protagonisten ein. Markus Sehr schuf mit »Die Kleinen und die Bösen« eine bittersüße Sozialkomödie in der Tradition der großen britischen Vorbilder. Er schickt Deutschlands Vorzeigebürokrat Christoph Maria Herbst als desillusionierten Sozialarbeiter in den Clinch mit einem Ex-Knacki, den Peter Kurth als Voll-Prolo gibt.

Florian Cossen (Das Lied in mir) inszenierte mit einem Augenzwinkern die Tragikkomödie »Coconut Hero« das bezaubernde Porträt eines 16-jähigen Teenagers aus der kanadischen Provinz, der nach einem missglückten Selbstmordversuch den Weg zurück ins Leben findet.

Axel Ranisch (Ich fühl mich Disco, Dicke Mädchen) schrieb mit seinem Alter Ego und Stamm-Hauptdarsteller Heiko Pinkowski sowie Peter Trabner »Alki, Alki«. Er porträtiert mit seinem unverwechselbaren optimistischen Blick auf die Welt, in dem die Tragik niemals zu kurz kommt, einen Architekten und Vater von drei Kindern, der seinen Schatten, die Flasche, nicht los wird.

Der Film kommt ebenso in den kommenden Monaten ins Kino wie Frieder Wittichs Verfilmung von Benedict Wels »Becks letzter Sommer«. Der 19-jährige Autor hatte Christian Ulmen im Hinterkopf, als er sich die Figur des Ex-Musikers und Lehrers um die 40 erdachte, der das Leben verlernt hat.

Unverkennbar sind die Inspirationen durch Nick Hornbys »High Fidelity.« Beck wacht erst auf, als er das musikalische Talent des 19-Jjhrigen Rauli entdeckt und für ihn die ersten Songs schreibt. Er will ihn fördern, doch muss er auf einem wilden Trip nach Istanbul auch lernen, rechtzeitig loszulassen, um die Entwicklung des Teenagers nicht zu behindern.

Und dann ist da noch Franz Müllers »Happy Hour«, bei der Uraufführung in München gefeiert, und einer der Filme, die zwischen Fernsehen und Kino liegen. Er folgt drei Männern in der Mitte des Lebens, die von ihren Frauen verlassen wurden, auf einem Trip nach Irland, und würzt die Geschichte mit skurrilen Einfällen und Wortwitz. In WDR und Arte, den beiden produzierenden Sendern, steht der Film gut um 20.15 Uhr. Und auch auf den Publikumsfestivals des Sommers wird er sicher begeisterte Zuschauer finden.

Aber natürlich will Müller mit »Happy Hour« ins Kino, wo gerade sein »Worst Case Scenario« startet, der im Vorjahr in München umjubelt wurde. Diese Begeisterung des Festivalpublikums täuscht manchmal. Sie weckt Erwartungen, die bislang zu oft enttäuscht wurden.

Müller kritisierte in München die langen Entwicklungszeiten von Nachwuchsprojekten und die Bettelei der jungen Regisseure bei Sendern und Filmförderern. Fünf Jahre brauchte er für die Entwicklung von »Happy Hour«, der dann für das lächerliche Budget von 800.000 Euro entstand, zu denen die Film- und Medienstiftung NRW rund 250.000 beisteuerte. Dass Sender solche Budgets aufrufen, ist eine Frechheit. Die Filme können nur durch die Selbstausbeutung aller Beteiligten entstehen. Aber vielleicht tut sich etwas. Die Olympia-Rechte gingen nicht an ARD und ZDF, Geld dürfte frei werden.

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