Neun Tage Abschied
Literaturkritik: »Die letzten Tage von Rabbit Hayes« der irischen Autorin Anna McPartlin
Mit diesem Buch sichert sich Anna McPartlin einen Platz neben den besten Erzählern Irlands. Es ist lustvoll, darin zu lesen. Wie stark doch die Autorin ihren Landsleuten verbunden ist und der Stadt Dublin, wo sie 1972 geboren wurde. Zu den Freunden und Bekannten, denen sie Dank sagt, wird auch die Frau zählen, um die es in »Die letzten Tage von Rabbit Hayes« geht: Als junges Mädchen, sommersprossig mit großer Brille, gibt man ihr den skurrilen Kosenamen Rabbit (Kaninchen), der haftet ihr an, bis sie schon alleinerziehende Mutter ist. Der Vater der Tochter, den es aus Australien nach Dublin verschlagen hatte, war schnell wieder verschwunden. Und Rabbit wird sie auch weiterhin gerufen, bis der Krebs, diese Geißel der Menschheit, sie dahinrafft. Da ist sie erst wenig über vierzig Jahre alt.
Eine tragisch-traurige Geschichte? Alles andere als das. Eine tröstliche, über Strecken sogar fröhliche Geschichte - dieser wunderbare Zusammenhalt der Iren! Rabbits Verwandte und Bekannte scharen sich um sie, sind für sie da, stützen sie, ermutigen sie: die Eltern, die Schwester, der Bruder, die Freundin, die Freunde, und Juliet, ihre zwölfjährige Tochter Juliet, der man lange die Wahrheit über die Krankheit der Mutter verschweigt.
Rabbits letzte Tage sind voller Wendungen, Entschlüsse und Entscheidungen. Die Eltern, die den Ärzten nicht länger vertrauen, opfern ihre Ersparnisse, um für sie bei einem religiösen Wunderheiler Hilfe zu suchen - sie scheitern. Rabbits Schwester und Schwager, die mit ihren drei halbwüchsigen Söhnen beengt wohnen, sind selbstlos bereit, Juliet aufzunehmen, auch der eigens aus Amerika angereiste Bruder will das tun. Alle ihre Entschlüsse, Versprechungen und Taten geben Einblick in eine Vielfalt irischen Lebens.
In der Zeitspanne, die Rabbit auf Erden vergönnt ist, lernt sie die eigene Mutter für all das lieben, was diese unter herben Sprüchen, Scherzen und rauem Gebaren verborgen gehalten hatte. Sie findet eine neue Nähe zu ihrem Vater, sieht ihre Schwester und Schwager in einem neuen Licht, und erkennt in ihrem Bruder eine Menschlichkeit, die sie sehr beruhigt - ihm wird sie Juliet anvertrauen können, selbst wenn das für sie ein Leben im fremden Amerika bedeutet. Und was Juliet selbst angeht, Rabbit entdeckt in ihr ungeahnte Charakterstärke und erstaunliche Reife.
All das verwebt Anna McPartlin mit einer schönen Liebesgeschichte - Rabbits Liebe zu Johnny, dem begnadeten, allzu früh verstorbenen Sänger. In ihren letzten Augenblicken drückt sie die Hand der Mutter und glaubt sich aufs Innigste eins mit dem Mann, »den sie nie losgelassen hatte« - fünf Worte, die den Roman beenden.
Anna McPalin: Die letzten Tage von Rabbit Hayes. Aus dem Englischen von Sabine Langsfeld. Rowohlt Taschenbuchverlag, 462 S., 12 Euro.
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