Verfassungsrichter kippen Betreuungsgeld
Milliarden sollen in den Kitaausbau fließen, fordern Kritiker - doch Bayern will an Herdprämie festhalten
Ferdinand Kirchhof hatte die zwei Worte kaum ausgesprochen, da ging ein hörbares Aufatmen durch den Raum. Nichtig und unvereinbar mit dem Grundgesetz sei das Betreuungsgeld, sagte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts in seinem Eingangsstatement. Dem Bund fehlte schlicht die Gesetzgebungskompetenz. Für ein Betreuungsgeld sind die Länder zuständig, entschieden die Richter einstimmig. Inhaltlich haben sie die staatliche Förderung von Eltern, die ihr Kind bis zum 3. Lebensjahr zu Hause betreuen wollen, deshalb nicht geprüft.
SPD, LINKE, Grüne, Erzieher, Wissenschaftler, Eltern- und Kinderorganisationen, der DGB, Sozialverbände - all jene, die das Betreuungsgeld wegen seines konservativen Familienbildes über Jahre erbittert bekämpft hatten, jubeln nun und fordern einhellig, die frei gewordene Milliarde pro Jahr in den Kitaausbau zu investieren. Nur in den Reihen der CDU war es am Dienstag auffällig still.
Die CSU hatte die als »Herdprämie« geschmähte Familienleistung unter der schwarz-gelben Koalition gegen alle Widerstände durchgedrückt. Auch die Sozialdemokraten kauften das Betreuungsgeld für die Große Koalition mit ein, brachten die ungeliebte Fördermaßnahme auf einem Umweg nun immerhin zu Fall. Das SPD-geführte Hamburg hat die Klage in Karlsruhe eingereicht.
Die Verfassungsrichter prüften, inwiefern das Betreuungsgeld dazu dient, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Dann nämlich darf der Bund im Bereich der öffentlichen Fürsorge tätig werden. Die Richter konnten jedoch nicht erkennen, wie das Betreuungsgeld dazu einen Beitrag leistet. Es ändere nichts an der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Kitaplätzen in den Ländern, und um einen eigenen Betreuungsplatz zu finanzieren, seien 150 Euro im Monat zu wenig. Überdies stehe das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung allen Eltern offen, betonen die Verfassungshüter. Nehmen Eltern dies nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig. Es gebe deshalb auch keine Pflicht, diesen Verzicht durch eine Prämie auszugleichen.
Die Eltern der rund 455 000 Kinder, die derzeit Betreuungsgeld beziehen, können sich wohl dennoch entspannen. Laut Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) soll nach einer Lösung gesucht werden, damit alle die Prämien bis zum Schluss bekommen. Derzeit fließen zwei Drittel des Geldes nach Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Am wenigsten gefragt war das Betreuungsgeld in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
Die CSU will die Prämie in Bayern weiterzahlen - und fordert dafür das Geld vom Bund, der ja auch den Kitaausbau der Länder unterstütze. Dem Freistaat fällt mit dem Urteil eine frühere Torheit auf die Füße: Grundlage ist Artikel 72 im Grundgesetz. Er wurde 1994, unter anderem auf Drängen Bayerns, geändert, um den Föderalismus und die Gesetzgebungskompetenz der Länder zu stärken. Seite 5
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