Freihandel ohne Arbeitsnormen
SPD-Entwicklungspolitiker Raabe will die Internationale Arbeitsorganisation stärken
»Gerd Müller ist ein Mann, mit dem man reden kann.« Solcherlei Kompliment des SPD-Bundestagsabgeordneten Sascha Raabe für seinen CSU-Kollegen, den amtierenden Entwicklungsminister, kommt nicht von ungefähr. Beide waren früher die entwicklungspolitischen Sprecher ihrer Fraktion beziehungsweise Landesgruppe. Müller gilt als Fachmann auf diesem Gebiet - anders als einige seiner Vorgänger: Waren die drei vor Müller amtierenden Entwicklungsminister mit CSU-Parteibuch vor allem durch konfessionellen und regionalen Pöstchenproporz - alle drei waren evangelische Franken - in ihr Amt gelangt, bringt Müller reichlich Erfahrung mit.
Nicht nur für Raabe steht fest, dass eine Fraktionen übergreifende Kooperation der Nord-Süd-Politiker mehr denn je erforderlich ist. Schließlich geht es im sogenannten Entwicklungsjahr 2015 um viel. Es stehen eine ganze Reihe zukunftsweisender Debatten und Entscheidungen an: Künftige Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit, die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) für die nächsten 15 Jahre und schließlich der Pariser Gipfel über den Umgang mit dem Klimawandel.
Raabe spricht im nd-Gespräch noch zwei andere, ebenfalls 2015 laufende internationale Verhandlungen an, bei denen es auch um Armut und Unterentwicklung geht: Die Bemühungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die mit einer »Jahrhundertinitiative für die Zukunft der Arbeit« die bestehenden Missstände bei der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte zwischen Kalkutta und Kapstadt anpacken will. Dieses Thema möchte Raabe über die Schiene der anderen Konferenzen breiter lancieren. Konkret geht es ihm um die acht Kernnormen der ILO zu den Themen Kinder- und Zwangsarbeit, Gewerkschaftsrechte und Diskriminierung im Beruf. Etwa ein Drittel der ILO-Mitgliedsländer hat die acht Normen bisher noch nicht ratifiziert - darunter Kanada und die USA.
»Entwicklungspolitik ist in den kommenden Jahren zum guten Teil Handelspolitik«, meint der aus Hessen stammende Raabe. Wenn die beiden Freihandelsabkommen mit den Nordamerikanern ratifiziert sind, würden weitere Abkommen als Nachahmer folgen. Verhandlungen mit China und Südostasien stehen an - mithin die Regionen mit den meisten Verstößen gegen die ILO-Normen. Um sie durchzusetzen, müsste der Norden vorbildhaft vorangehen. Deshalb betrachtet Raabe die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada als notwendige Hebel, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Süden zu verbessern. Also konstruktive Kritik an den transatlantischen Abkommen statt Pauschalablehnung? Das hänge davon ab, meint Raabe, »inwieweit die nationalen Parlamente ein Mitspracherecht bei der Ratifizierung bekommen«. Mit den Wirtschaftspolitikern seiner Partei um Sigmar Gabriel ist er zumindest in einem Punkt einig, »dass wir die ILO-Normen in die beiden Verträge als verpflichtend übernehmen sollten.«
Die Ernüchterung über den anstehenden »Konferenzzirkus« kam bereits beim ersten der drei Durchgänge: Mitte Juli waren Müller und Raabe gemeinsam nach Addis Abeba geflogen. Ziel war die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung. Müller forderte die Entwicklungsländer zu mehr Eigenanstrengungen und einen Abbau der ungerechten Verteilung von Reichtum und Macht auf. Doch es gab keine Fortschritte bei den Debatten über Reformen der Steuersysteme, über neue Finanzierungsinstrumente ebenso wenig wie bei dem geforderten, verbindlichen Fahrplan für das zu leistende Hilfsvolumen, das 1970 per Selbstverpflichtung auf 0,7 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung liegt. Befriedigt zeigte sich Raabe vor allem über die erhobene Forderung der Addis-Versammlung an die Geber, wenigstens 1,5 bis zwei Promille ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die 30 ärmsten Länder (außerhalb von Schwarzafrika vor allem Haiti sowie mehrere südostasiatische Staaten) aufzuwenden. Raabe hatte den Minister zuvor schon darauf angesprochen, dass Deutschland hier bei nur knapp einem Promille des BIP liegt.
Müllers Vorgänger Dirk Niebel (FDP) hatte die deutsche Hilfe zunehmend auf die wachstumsstarken Schwellenländer konzentriert - Entwicklungshilfe sollte Türöffner für deutsche Exporteure spielen!
Der große Entwicklungsgipfel mit seinen geplanten 17 neuen Millenniumszielen lässt die Regierungschefs im September im Rahmen der UNO-Generalversammlung in New York zusammentreffen. Dann müssen Leute wie Müller und Raabe die Agenda bis zur Unterschriftsreife vorangetrieben haben. »Die Ziele sind hervorragend«, urteilt Raabe, »doch die Umsetzung, Kontrolle und gegebenenfalls die Sanktionen, wenn die Vorgaben nicht eingehalten werden, sind noch völlig unklar«.
Von unverbindlichen Absichtserklärungen haben die beiden Berliner Politiker mittlerweile genug. Im Laufe des Sommers dürfte die Diskussion über die beiden Freihandelsabkommen ihren Höhepunkt erreichen. Das Abkommen mit den Kanadiern - CETA - ist eigentlich schon abgeschlossen. Doch dürften die Parlamentarier der EU-Mitglieder und der kanadischen Provinzen es sich nicht nehmen lassen, ihre mehr oder weniger verbindlichen Kommentare abzugeben.
Müller und Raabe sind sich einig, dass die Abkommen erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklungsländer haben werden. Vor allem könnte die geballte Marktmacht der beiden Wirtschaftsblöcke dazu führen, dass Anbieter aus dem Süden aus angestammten Märkten verdrängt werden. Müller hatte diese Debatte mit einem Ifo-Gutachten über die Folgen für Drittstaaten angeheizt. Prompt wurde es von Entwicklungsorganisationen als »zu zweckoptimistisch« kritisiert. Am Ende der ganzen Debatten um die Handelsabkommen dürften nach Meinung einiger Experten Vereinbarungen über den Zollabbau und Investitionsschutz stehen; mit einem langen Ausnahmekatalog und einem ökologisch sozialen Zusatz. Kein Grund zum Aufatmen.
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