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Die stumme Gegenwart der Dinge

Wie Günther Friedrich seine Stillleben inszenierte, zeigt das Kunstmuseum Cottbus in einer neuen Reihe »Konstellation«

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Dem vor bald 30 Jahren verstorbenen Cottbuser Maler Günther Friedrich (1930 - 1986) widmet das Kunstmuseum Cottbus eine neue Ausstellungsreihe »Konstellation«, in der - so die Direktorin Ulrike Kremeier - »ein wesentlicher Werkaspekt im Schaffen eines Künstlers in neue Kontexte gestellt und in spannungsreiche Konstellationen zu ausgewählten kunstgeschichtlichen Positionen gebracht werden« soll. Günther Friedrich hatte noch gegen Ende seines Lebens eine Werkliste mit dem Schwerpunkt seiner letzten Stillleben zusammengestellt, die zusammen mit weiteren Werken, auch denen seines Dresdner Lehrers Hans Grundig und seines großen Vorbildes, des Künstler-Poeten der italienischen Moderne, Giorgio Morandi, die Grundlage dieser Ausstellung bilden.

Wie Morandi lebte Friedrich weitgehend still und zurückgezogen, sich allen spektakulären Demonstrationen verweigernd. Wie dieser hat er nicht vor der Natur gemalt. Das Motiv entstand in seinem Kopf, er wählte es aus, formte es um, rückte es in sichtbare Nähe, setzte es im Bild wieder neu zusammen. Den größten und wichtigsten Teil seines Spätwerkes machen eben die Stillleben aus: Vasen, Obst, Flaschen, Kannen, Küchengeräte, Büchsen, Verpackungen, Gewichte, Tassen, Töpfe und andere Gefäße. Immer wieder wechselte er geduldig auf dem Arbeitsplatz wie auf einer Bühne ihr Arrangement, führte mit seinen reglosen »Figuren«, Symbolen einer auf wenige bescheidene Gegenstände beschränkten Welt, einen stummen Dialog.

Die konzentrierte Werkschau enthält aber nicht nur Stillleben, sondern auch Natur-, Industrie- und Stadtlandschaften aus der Lausitz, Porträts und Figurenbilder. Vor allem bei dem Provencalen Paul Cézanne fesselte ihn die Synthese des Bildaufbaus; dessen Arbeit an einer visuellen Neuschöpfung der sichtbaren Welt ohne jeden identifizierenden Blick, der immer nur schon bekannte Objekte wiedererkennt, wurde für Friedrich zur verbindlichen Aufgabe. Dagegen fehlt den Bildern des Cottbuser Malers die Dramatik, mit der die Futuristen jede Bildvorstellung bis zur Unkenntlichkeit der Gegenstände umstürzten. Friedrich erreichte in seinen Stillleben eine kompakte Strenge und Kargheit, eine Gliederung der Raumflächen, die sich zu größter poetischer Intensität verdichtete.

Zunächst ging Friedrich von der geometrischen Anonymität, Fremdheit und Kälte, Abgeschlossenheit und Unbewegtheit der Gegenstände, ihrem Ding-Charakter aus. Jeder Dialog der Objekte untereinander oder mit dem Betrachter scheint zu fehlen (»3 Flaschen«, Öl auf Leinwand, 1982). Mal sind die Konturen hart, dann wieder verwischt (»Grüne Flaschen«, Pastell, 1982). Die Formen erhalten bald mehr Plastizität und Belebung, die poetische Einheit des Lichts fungiert als Mittler und bezieht die Formen in ihre Umgebung ein. Die Bewegung eines Hell-Dunkel-Rhythmus gliedert jetzt Massen und kennt keine Übergänge.

Von nun an, abseits der künstlerischen Avantgarde oder allgemein verbreiterter Ausdrucksweisen, stellt der Künstler seine Fragen an das Leben und die Geschichte - und stellt sich selbst fortwährend in Frage. Er wollte seine Zeit mit eigenem Sehen, Fühlen und Leiden erfassen, sei es in seinen stillen, klar strukturierten und doch wehmütig stimmenden (Industrie-)Landschaften, klar strukturiert (»Gehöft in Schwarze Pumpe«, Öl auf Leinwand, 1957) oder wie verwehend, sich in der Atmosphäre auflösend (»Landschaft mit Bauwagen«, Öl auf Leinwand, 1978) oder den nachdenklichen Porträts, wie dem fragend blickenden Jungen vor einer uniformen Neubaufassade (»Zum Beispiel Cottbus-Sandow«, Öl auf Leinwand, 1978).

»Alles ist Geheimnis, wir selbst, die einfachsten, die niedrigsten Dinge«. Dieser Satz von Morandi könnte auch von Friedrich stammen. In der geduldigen, aufmerksamen und fast experimentellen Untersuchung der Wirklichkeit der Sichtbarkeit und der Sichtbarkeit der Wirklichkeit, in dem Versuch, dem Menschen, seiner Umwelt, den alltäglichsten Gegenständen auf die Spur, auf den Grund ihres schweigenden und hartnäckigen Daseins zu kommen, liegt die Wertigkeit seiner Arbeiten.

Zunehmend huldigte er - neben den Naturstudien Jean-Baptiste Camille Corots - den Stillleben Jean Siméon Chardins, um gegen Pathos und rhetorischen Überschwang seiner Zeit das sichtbare Maß und die ethische Klarheit seines Werkes zu setzen. In den Stillleben aus den letzten Lebensjahren wurde die feste Beschaffenheit der gerade erst vergegenständlichten Farben von düsteren Modulationen und fast monochromen Tönen wieder zurückgedrängt.

Die chronologische Ordnung der Bilder wird in der von Jörg Sperling kuratierten Ausstellung sinnvollerweise durch die Zusammenschau von Werkgruppen durchbrochen. Denn auch mehrere Arbeiten mit ähnlichem Motiv nebeneinander gehängt, ergeben ein ungewöhnliches inneres Spannungsverhältnis. Niemals kommt bei dem Betrachter Monotonie auf - Ergebnis einer stimmigen, wie selbstverständlich erscheinenden Anordnung, vor allem aber Beweis für die Kunst Friedrichs und ihre beispielhafte Bedeutung.

Wenn man immer wieder bei Friedrich auf das Vorbild Morandi verwiesen hat, dann zeigen gerade die ebenfalls präsentierten Radierungen Morandis, wie kontrapunktisch sich eigentlich beide Künstler gegenüberstehen. Diese Radierungen sind eine selbständige Ausdrucksform mit eigenen Mitteln, unterschieden von der Malerei Friedrichs, obwohl zwischen beiden thematische und kompositionelle Beziehungen bestehen. In Morandis Grafik bewahrt die Wirklichkeit immer Distanz, anstelle trennender Linien scheint ein Netzwerk Raum und Gegenstände gleichermaßen zu überziehen. Sind in der Malerei Friedrichs die figuralen Elemente vielseitigen Deutungen offen, so bleibt doch in den Radierungen Morandis die Identität der dargestellten Dinge unbezweifelbar. In den letzten Stillleben Friedrichs reduzierte sich dann die »Dinglichkeit« auf wenige, weitgehend geometrische Flächen: Die Volumen schwinden, die Umrisse vereinfachen sich, die Farbe löst sich ins Atmosphärische auf, die Gegenstände versinken in die Tiefe und Dichte des Raumes (»Rote Mühle«, Öl auf Leinwand, 1986).

Friedrichs Versuch, alltägliche Realität zu ergründen, in der Vielfalt ihrer Einheitlichkeit und Ganzheit zu erfassen, fordert den Betrachter auf, sein Verhältnis zur sichtbaren Wirklichkeit zu ändern, im eindringlichen Schauen und Begreifen ihre Hintergründigkeit, ihr »Geheimnis« in der Beziehung von Gegenständlichem und Abstraktem, Geometrischem und Figurativ-Vegetativem, von Anschauung und Form aufzuspüren.

Konstellation I - Günther Friedrich. dkw. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus. Di-So 10-18 Uhr, bis 30. August. Katalog.

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