Mörderische Ausdauer

Im Kino: »Manuscripts Don't Burn« von Mohammad Rasoulof

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Neunziger Jahre waren eine gefährliche Zeit für Intellektuelle in Iran. Wie viele von ihnen den sogenannten Kettenmorden zum Opfer fielen, ist bis heute unklar, ebenso wie die möglichen Auftraggeber der (posthum) von offizieller Seite benannten Täter. Klar ist: Es gab mindestens 80 Opfer, möglicherweise deutlich mehr. Die Mordserie gilt als Reaktion des religiösen Regimes auf die Politik der vergleichsweise liberalen Regierung Chatami.

Wenn der Film eines iranischen Regisseurs wie Mohammad Rasoulof, der im Zuge der Proteste gegen die dubiosen Präsidentschaftswahlen von 2009 inhaftiert und zu einer (vorläufig ausgesetzten) Gefängnisstrafe verurteilt wurde, von dieser Zeit erbarmungsloser Repression und brutaler Zensur handelt, liegen die politischen Parallelen auf der Hand. »Manuscripts Don’t Burn« - der Titel des Films ist nicht zufällig Michail Bulgakows »Der Meister und Margarita« entlehnt, einem Klassiker subversiver Literatur.

Die beiden bärtigen Männer aber, die zu Beginn des Films auf der Flucht sind vor einem dritten, sind keine Schriftsteller, Dichter oder Journalisten. Chosrau und Morteza sind Auftragskiller, die auf Schriftsteller, Dichter und Journalisten angesetzt werden, wenn diese sich unbeliebt machen. Ihnen ist gerade ein Auftrag schiefgegangen. Ein Mann ist zwar tot, wie von oben befohlen. Aber der Mord ging nicht unauffällig und ohne weitere Spuren vonstatten - das Opfer ist gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf liegengeblieben. Und das nur, weil da plötzlich einer auftauchte, der den Täter bei der Arbeit ertappte. »Hat er dein Gesicht gesehen?«, will der eine wissen. »Ich weiß nicht«, sagt der zweite. »Wir werden Ärger kriegen«, schwant dem ersten.

Ärger haben hier aber vor allem die Schriftsteller, Dichter und Journalisten, die von der Lynchjustiz des Apparates mit mörderischer Ausdauer verfolgt werden. Einen ganzen Bus voll von ihnen sollte einer der beiden Täter einst beiseite bringen, einen Abhang hinunter, auf Nimmerwiedersehen. Aber auch dieses Sammelattentat ging schief, und eins der damaligen Opfer will nun reden - um sein Manuskript geht es hier. Das Regime in Gestalt eines geschniegelten Zeitungsverlegers und Oberzensors nimmt dessen Inhalt persönlich. Denn der Zensor ist ein Wendehals, ein einstiger Dissident und politischer Gefangener, nun in den Diensten des Regimes, der seine früheren Zellengenossen bespitzelt und verleumdet, der sie foltern lässt und umbringen, weil er die Staatssicherheit (und seine eigene) stets über die Menschenrechte des Einzelnen stellt.

Drei Kopien des Manuskripts gibt es, eine liegt beim Autor, zwei bei schreibenden Kollegen und politischen Weggefährten. Alle drei müssen gefunden und vernichtet werden, damit der Zensor Ruhe hat - die Manuskripte, aber auch die Schriftsteller. Die Gewalt ist beiläufig in diesem düsteren, blaugrau-schneelichtigen Film, die Mordwerkzeuge alltäglich, ganz erschreckend banal: ein Tau, eine Wäscheklammer, ein Zäpfchen. Das mitgeführte Messer dient nur dem Frustabbau, nicht der Auftragserfüllung. Und der größte Teil des Films wird sich als Rückblick erweisen - in Wirklichkeit sind alle drei Autoren da schon tot, die Mörder am Ende bloß zwei Männer unter den Passanten.

Ein Minimum an Gewissen gönnt der Film aber auch den Killern, zumindest einem der beiden. Der hat ein krankes Kind, das dringend operiert werden müsste, und prüft deshalb an jedem zweiten Geldautomat, ob das Geld für den letzten Auftragsmord endlich eingetroffen ist. Seine verzweifelte Frau trägt jene geblümten Vollschleier, die in iranischen Filmen stets ein klares Indiz sind für die ungebildete, frömmelnde Unterschicht (die Frauen der Intellektuellen tragen dunkles Kopftuch und Staubmantel) - und sie macht den Beruf ihres Mannes für das Elend ihres Kindes verantwortlich. Der aber glaubt im Dienste Gottes zu agieren und will sich das auch nicht ausreden lassen. Der andere Killer versucht’s gar nicht erst: Ihn plagen keine Zweifel, er ist die perfekte Verkörperung der Banalität des Bösen.

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