Die Vorteile des »Plan B«
Linke Grexit-Debatte: Demokratische Souveränität statt marktkonformer Demokratie. Eine Replik auf Bischoff, Troost und andere von Paul Steinhardt
An die in dem Beitrag von Joachim Bischoff, Thomas Händel, Björn Radke, Axel Troost und Harald Wolf zur linken Euro-Debatte vertretene These, dass ein Verbleib im Euro der »Rückkehr zur Drachme« vorzuziehen ist, schließt sich eine interessante Frage an: Ob und inwieweit ist die Verwendung von unterschiedlichem »Geld« der Verwirklichung bestimmter gesellschaftlich akzeptierter Zielsetzungen mehr oder weniger zuträglich?
In ihrem Artikel finden sich nun aber bedauerlicherweise keine Ausführungen zur institutionellen Ausgestaltung des Euro und seiner Funktionsweise oder gar etwas Erhellendes zu den Charakteristika eines alternativen Geldsystems. Sehen die Autoren möglicherweise nicht, dass Geldsysteme sich ganz erheblich unterscheiden können, wenn ihnen unterschiedliche Regelsysteme zugrunde liegen? Vergebens sucht man auch nach einer klar umrissenen Zielsetzung, auf die hin man Vorzüge und Mängel alternativer Geldsysteme analysieren könnte.
Die Autoren scheinen jedenfalls mit der Meinung des griechischen Wirtschaftsministers Giorgos Stathakis einig zu gehen, dass die Erfüllung der Bedingungen für die Einräumung eines dritten »Hilfspaket« zwar »rezessionsverstärkenden Charakter« haben werden, aber diesen Preis zu zahlen gerechtfertigt ist, da damit der » Grexit, das Ausscheiden aus der Euro-Zone, mit Mühe verhindert« werden konnte.
Der Preis, der für den Verbleib in der Europäischen Währungsunion (EWU) zu zahlen ist, sind weitere Haushaltskürzungen, Steuererhöhungen und der Ausverkauf öffentlichen Eigentums. Diese Maßnahmen werden zweifellos das griechische Bruttoinlandsprodukt weiter schrumpfen lassen und die bereits verheerend hohen Arbeitslosenzahlen werden daher weiter wachsen. Nicht ohne Grund ist sowohl in der UN-Menschenrechtserklärung als auch in der Europäischen Sozialcharta und auch der griechischen Verfassung ein »Recht auf Arbeit« formuliert worden. Die Einräumung eines solchen Rechts wird der Tatsache gerecht, dass viele Menschen ihren Lebensunterhalt durch Einkommen aus abhängiger Beschäftigung bestreiten müssen und ihre personale Identität ganz wesentlich über ihre Arbeit definiert wird. Da Arbeitslosigkeit also meist mit materieller und seelischer Not verbunden ist, wird der Staat verpflichtet, seine Bürger vor Arbeitslosigkeit zu schützen.
Ich möchte im Folgenden argumentieren, dass die gegenüber den sogenannten Programmländern verfolgte Austeritätspolitik in der Logik der institutionellen Ausgestaltung des Euro liegt und die implizite Behauptung, dass es keine Alternative zu einem Verbleib in der Europäischen Währungsunion (EWU) gibt, falsch ist, sondern, im Gegenteil, auch in Griechenland ein Geldsystem eingesetzt werden könnte, das es der griechischen Regierung erlaubt, allen arbeitsfähigen- und willigen Bürgern einen Arbeitsplatz zu garantieren.
Neoliberale Welten
Die EU steht auch für viele Linke für die Überwindung nationaler Egoismen und damit für Frieden, für Demokratie, Menschenrechte und Solidarität. Dass die Realität so gar nicht mit diesen hehren Idealen zu korrespondieren scheint, erklären sie sich oft mit den Charaktereigenschaften der politischen Entscheidungsträger und setzen ihre Hoffnung auf einen Politikwechsel, auf einen Wechsel des politischen Führungspersonals. Das ist erstaunlich, denn betrachtet man sich die die EU konstituierenden Verträge, wie z.B. den Lissaboner Vertrag, dann ist offensichtlich, dass die Ausgestaltung der Institutionen der EU der möglichst effektiven Durchsetzung des Marktprinzips dienen. Die Institutionen der EU sollen demnach die politischen Bedingungen schaffen, die es gewinnorientierten Unternehmen erlauben, möglichst uneingeschränkt von staatlichen Einschränkungen und Eingriffen und im möglichst intensiven Wettbewerb mit anderen Güter und Dienstleistungen für den Weltmarkt zu produzieren.
Aber auch von denjenigen, die erkennen, dass es sich bei der EU um ein neoliberales Projekt handelt, in dessen DNA die Förderung der Interessen transnational operierender Konzerne zu Lasten derjenigen, die ihren Lebensunterhalt in erster Linie aus abhängiger Erwerbsarbeit bestreiten müssen, eingeschrieben ist, verkennen meist die essentielle Rolle des Euro bei der Durchsetzung dieser neoliberalen Politikagenda. Sie erkennen nicht, dass alle Länder mit ihrem Eintritt in die EWU freiwillig darauf verzichtet haben, auf Wirtschaftskrisen mit der Abwertung ihrer Währung und antizyklischer Fiskalpolitik reagieren zu können und ihnen im Rahmen der institutionellen Ausgestaltung des Euro nur noch die »innere Abwertung«, sprich Lohndumping, und die »Haushaltskonsolidierung« als wirtschaftspolitische Instrumentarien verbleiben.
Für eine souveräne Geldordnung
Es kann nun gar kein Zweifel daran bestehen, dass den hohen Arbeitslosenzahlen in Griechenland mit staatlichen Ausgabeprogrammen begegnet werden könnte. Der Staat könnte entweder Ausgaben tätigen, um Nachfrage im gewinnorientierten Sektor zu erzeugen oder aber direkt Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor schaffen. Mit staatlichen Ausgaben könnte also dem Menschenrecht auf Arbeit genüge getan werden. Warum aber dann tätigt die griechische Regierung diese Ausgaben nicht?
»Was für eine Frage!« mag man antworten. Es ist doch ganz offensichtlich, dass der griechische Staat faktisch zahlungsunfähig ist und dass er daher ohne dass andere Staaten für ihn bürgen, vom »Markt« keine Finanzierung erhalten wird. Die oben genannten Autoren sind offenkundig der Meinung, dass sich mit einem Grexit an dieser Abhängigkeit von den Finanzmärkten nichts verändern lässt und behaupten sogar, dass damit zu rechnen ist, dass »die Marktkräfte dem Land einen noch brutaleren Sparkurs diktieren würden als denjenigen, den die meisten Griechen zu recht als Erpressung empfinden«.
Die Autoren scheinen also der Meinung zu sein, dass ein Staat Haushaltsdefizite notwendiger Weise kommerziell refinanzieren muss. Dieser Meinung aber teilt noch nicht einmal Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Auch er sieht, dass es das Mittel der »monetären Staatsfinanzierung« gibt. Das Finanzministerium wendet sich in diesem Fall nicht an den Kapitalmarkt oder an Banken, sondern es refinanziert sich direkt bei seiner Zentralbank. Sind aber Finanzministerium als auch Zentralbank staatliche Organisationen, dann hat der Staat demnach Verbindlichkeiten und Forderungen in der gleichen Höhe und den Zins, den er zu zahlen hat, erhält er von seiner Zentralbank als Gewinnausschüttung wieder zurück. Mit solchen Schulden lässt sich leben!
Freilich warnt Weidmann eindringlich davor, von diesem Instrument Gebrauch zu machen, denn es führt nach seiner Meinung unweigerlich zur Hyperinflation. Nun hat aber Inflation so gar nichts damit zu tun, wer Geld emittiert, sondern ist immer eine Folge davon, dass die mit Geld unterlegte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen die produktiven Kapazitäten einer Volkswirtschaft überfordert. Arbeitslosenquoten wie die in Griechenland aber sind ein sicheres Indiz dafür, dass die produktiven Kapazitäten einer Volkswirtschaft noch nicht ausgeschöpft sind und durch fiskalpolitische Maßnahmen rasch reaktiviert werden können.
Eine expansive Fiskalpolitik erfordert aber eine Zentralbank, die uneingeschränkt die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Regierung unterstützt. Die EZB als zentrale Machthaberin der »Geld-Gewalt« ist dagegen so ausgestaltet, dass sie formal keiner Weisung und Kontrolle demokratisch legitimierter Organisationen unterstellt ist. Sie ist in diesem Sinne »unabhängig«. Es gibt wohl keinen Staat der Welt, der von seiner Notenbank so abgeschnitten ist, wie die Staaten der Euro-Zone! Die Vorstellung, dass diese Unabhängigkeit wirtschaftspolitische Neutralität garantiert, wird gegenwärtig eindrucksvoll durch die Griechenlandpolitik der EZB widerlegt.
Anders als oft argumentiert wird, findet beim Geld die Demokratie nicht eine natürliche Grenze, sondern erst die Möglichkeit der Geldschöpfung durch die Zentralbank eines Staates erlaubt, dass die Realisierung gesellschaftlich gewollter Ziele nicht am Finanzierungsvorbehalt scheitern kann. Im Rahmen einer in diesem Sinne souveränen Geldordnung ist damit Geld niemals eine begrenzende Ressource. Und vor allem braucht ein Staat mit einer souveränen Währung niemals den »Markt«, um seine Defizite zu refinanzieren, kann sein Banksystem immer mit ausreichend Kapital ausstatten und sicher stellen, dass auch Giralgeld in seinem Bestand gesichert ist. Dass die Verfügbarkeit über Geld für einen Staat mit einer souveränen Währung aber niemals ein Problem ist, heißt nicht, dass der Staat tun und lassen kann, was er will. Mit »seinem« Geld kann er nur die humanen und natürlichen Ressourcen mobilisieren, die in seinem Land auch zur Verfügung stehen.
Zum Scheitern verurteilt?
Ein Land, wie etwa Griechenland, das aus der EWU austreten und in eine souveräne Geldordnung eintreten möchte, wird verfügen, dass sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten ihrer Bürger zu einem bestimmten Stichtag in z.B. Drachmen, oder wie auch immer sie ihre Währung zu nennen belieben, anstatt in Euro zu denominieren sind und sämtliche Geldschulden nur noch mit Zahlungsmitteln, die auf diese Währung lauten beglichen werden können. An der Höhe der Forderungen und Verbindlichkeiten ändert sich also durch die Einführung der neuen Währung nichts.
Warum aber sollte ein solcher Schritt, wenn wir zunächst einmal von Importen absehen, dazu führen, dass, wie die Autoren behaupten, »die Löhne und Renten um die Hälfte reduziert« und »auch die Sparguthaben halbiert werden«. Das wäre offensichtlich nur dann der Fall, wenn sobald die neue Währung eingeführt wird, alle Preise von Gütern und Dienstleistungen verdoppelt würden. Warum aber sollten griechische Produzenten eine solche Preiserhöhung in einem deflationären Umfeld durchführen?
Nicht nachvollziehbar ist auch, warum sich die Schulden von Unternehmen mit der Einführung einer neuen Währung »in Prozenten ausgedrückt verdoppeln« sollten. Solange Unternehmen sich unter griechischem Recht verschuldet haben, haben die Gläubiger kein Recht auf eine Bezahlung in einer anderen Währung zu bestehen. Selbst wenn Unternehmen Verträge unter ausländischem Recht abgeschlossen haben, ist es zumindest zweifelhaft, dass Gläubiger auf eine Bezahlung in Euro bestehen können. An den Schulden der Unternehmen ändert sich »in Prozenten ausgedrückt« in den meisten Fällen also wohl eher nichts.
Problematischer sind Kredite, die Griechenland unter diversen Rettungsschirmen erhalten haben. Wenn man allerdings unterstellt, dass Schäuble ein Interesse daran hat, dass Griechenland aus der EWU ausscheidet, ist es durchaus denkbar, dass die staatlichen Gläubiger einer Redenominierung der Schuldtitel in Drachmen zustimmen würden. Verfügt Griechenland über eine souveräne Währungsordnung, kann sie diese Schuldtitel immer ganz problemlos bedienen. Welchen Vorteil sollten sich die Gläubiger davon versprechen, die Griechen in die Zahlungsunfähigkeit zu zwingen?
Was bleibt, ist die Behauptung, dass es die Einführung einer neuen Währung »einen schlagartigen Absturz des Wertes der nationalen Währung bedeuten« würde. In diesem Fall würde unter der zusätzlichen, und äußerst fragwürdigen, Annahme, dass importierte Güter nicht zu einem bestimmten Grad durch einheimische Güter substituiert werden, es zu einer Verringerung der Kaufkraft in Höhe des Anteils für importierte Güter an den gesamten Ausgaben einen Haushalts kommen. Allerdings erschließt sich mir nicht, warum die Einführung einer neuen Währung automatisch mit deren Abwertung ins Bodenlose verbunden sein muss. Kein Zweifel kann zunächst daran bestehen, dass die EZB imstande wäre, jeden politisch gewollten Wechselkurs zu garantieren. Ob es der griechischen Regierung gelingen könnte, auf dem Verhandlungsweg eine »Wechselkursgarantie« von der EZB zu erhalten, kann man in jedem Fall nicht kategorisch ausschließen. Insbesondere deshalb nicht, weil eine konfrontative Haltung gegenüber Griechenland geopolitische Konsequenzen zeitigen könnten, die weder im Interesse der USA noch der EU-Länder sein können.
Aber auch wenn man annimmt, dass die EZB nicht bereit ist, den Außenwert der neuen Währung zu stützen, ist nicht verständlich, warum und wie man gegen eine frei konvertierbare Währung mit Aussicht auf Gewinn spekulieren kann. Es ist aber dennoch sicherlich empfehlenswert, durch die entsprechende Ausgestaltung von Kapitalverkehrskontrollen und Beschränkungen des Devisenhandels, den Handel der neuen Währung am Devisenmarkt auf solche zu beschränken, die der Abwicklung von »realen Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsgeschäften« dienen.
Es gibt also durchaus wirtschaftspolitische Instrumente, die es erlauben, die mögliche Abwertung der neuen Währung auf das politisch gewollte Maß zu reduzieren. In jedem Fall aber bleiben die Autoren eine Antwort auf die Frage schuldig, welche Evidenzen ihnen vorliegen, die sie eine Abwertung von 50 Prozent erwarten lassen?
Was immer sich der Außenwert einer neuen Währung entwickeln mag, fest steht, dass mit einer souveränen Währung sich der Binnenmarkt eines Landes rasch entwickeln lässt. Argentinien, das zwar kein Mitglied einer Währungsunion war, aber aufgrund seiner Bindung an den US-Dollar und ihrer Abhängigkeit von Geldern des IWF ebenfalls bis zum Ausstieg aus diesem Währungsarrangement zur Verfolgung einer Austeritätspolitik gezwungen war, ist in diesem Zusammenhang ein instruktives Beispiel. Der argentinische Staat hatte unmittelbar nach der Herstellung einer in weiten Teilen souveränen Geldordnung ein Beschäftigungsprogramm aufgelegt, das innerhalb von vier Monaten die Arbeitslosenzahlen um zwei Millionen bzw. die Arbeitslosenquote um 13 Prozent reduzierte. Das Bruttoinlandsprodukt Argentiniens, das zum Zeitpunkt des Einstiegs in eine souveräne Geldordnung im Jahre 2002 lediglich 123,6 Milliarden US-Dollar betrug, wuchs in nur drei Jahren um fasst das doppelte auf 222,9 Milliarden, um bis zum Jahre 2013 auf 609,9 Milliarden zu steigen.
Die Evidenzen scheinen mir eindeutig. Wer für den Verbleib in der EWU plädiert, fördert und legitimiert den Verstoß gegen das Menschenrecht auf Arbeit, weil es eine Alternative - den Einstieg in eine souveräne Geldordnung - gibt, die es erlaubt, der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, den materiellen Wohlstand aller Bürger zu mehren und demokratisch legitimierte Ziele zu befördern. Es ist daher höchste Zeit, dass die Linke alle Kraft auf die Entwicklung eines Plan B konzentriert und die Bevölkerung über dessen Vorteile aufklärt.
Paul Steinhardt war nach dem Studium an der London School of Economics für mehr als 20 Jahre in leitenden Funktionen bei deutschen Banken tätig. Vor wenigen Monaten schloss er ein Promotionsverfahren an der Goethe-Universität in Frankfurt ab. Seine Dissertation »Was ist eigentlich eine Marktwirtschaft« erschien bei Metropolis mit dem Untertitel »Eine sozialontologisch fundierte Rekonstruktion des Forschungsprogramm der österreichischen Schule für Zwecke einer ethisch fokussierten Theorie der Marktwirtschaft« Steinhardt veröffentlicht unter anderem im Blog von Heiner Flassbeck.
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