Geld flieht aus Schwellenländern
In den letzten 13 Monaten floss fast eine Billion US-Dollar aus aufstrebenden Märkten ab
Internationale Investoren verlieren offenbar das Vertrauen, profitable Geschäfte in den Schwellenländern wie Brasilien, China, Russland, Indien und Südafrika zu machen. Wie die »Financial Times« am Mittwoch berichtete, kam es in den vergangen 13 Monaten zu einem Kapitalabfluss von knapp einer Milliarde US-Dollar (rund 859 Millionen Euro) aus den 19 größten Schwellenländern. Dies sei fast doppelt so viel wie während der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009, schreibt die Londoner Tageszeitung unter Berufung auf Schätzungen der Investmentbank NN Investment Partners.
»Die Währungen der Schwellenländer sind jetzt den schlimmsten Verwerfungen ausgesetzt«, zitiert die Wirtschaftszeitung Bernd Berg von der französischen Großbank Société General. Die Indonesische Rupie etwa stürzte diese Woche gegenüber dem US-Dollar auf das niedrigste Niveau seit 17 Jahren ab. Auch brasilianische Real und andere Währungen wichtiger aufstrebender Volkswirtschaften befinden sich schon seit längerem auf Talfahrt. Vorläufiger Höhepunkt war in der vergangenen Woche die kontrollierte dreifache Abwertung des Yuan durch die chinesische Notenbank.
Hanhai. China unterstützt seine Banken, um aus der Konjunkturkrise herauszukommen. Die chinesische Zentralbank stellte 14 Finanzinstituten 110 Milliarden Yuan (15,5 Milliarden Euro) zur Verfügung.
Sie rief die Banken zugleich auf, damit vor allem kleinen Unternehmen unter die Arme zu greifen. Zuvor hatte die Zentralbank bereits zwei großen Kreditinstituten über 90 Milliarden Dollar (81 Milliarden Euro) bereitgestellt, damit diese über neue Kredite die Wirtschaft ankurbeln.
Mit der Geldspritze wolle China den Export und die Baubranche unterstützen, sagte Wang Shengzu, Ökonom bei Barclays Capital. AFP/nd
Die gegenwärtige Flucht des Kapitals aus den Schwellenländern hat mehrere Gründe. Zum Einen läuft es seit Längerem in diesen Ländern nicht mehr so rund. Brasiliens Wirtschaft zum Beispiel stagnierte vergangenes Jahr quasi mit einem marginalen Wachstum von 0,1 Prozent. Für dieses Jahr geht die Weltbank sogar von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 1,3 Prozent aus. Zum Anderen leiden viele Entwicklungsländer unter dem Preisverfall von Rohstoffen, da viele dieser Ökonomien im besonderen Maße von dem Export dieser Waren abhängen.
Ein Damoklesschwert, das über allen Schwellenländern schwebt, ist zudem die bereits seit Längerem angekündigte Zinswende in den Vereinigten Staaten. Bereits der Vorgänger von Fed-Chefin Janet Yellen, Ben Bernanke, hatte seinerzeit die Zinswende ins Spiel gebracht. Doch noch immer ist unklar, wann die Fed die Zinsen tatsächlich wieder anhebt. Alleine schon die Ankündigung, dass dies bald geschehen könnte, ließ bereits viel Geld aus den Schwellenländern in die USA fließen, weil dadurch Anlagen in den Vereinigten Staaten für Investoren attraktiver werden.
Ob dieser Kapitalabfluss aus den Schwellenländern in so hohem Maße weiter geht, wie es die Analysten bei NN Investment Partners prognostizieren, ist jedoch noch nicht ausgemacht. Andrew Watt vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung ist da zumindest noch gelassen. »Die Märkte reagieren oft über, gerade in Bezug auf die Schwellenländer«, meint er. So habe es dort seit jeher hohe Schwankungen bei Wechselkursen und Kapitalzuflüssen beziehungsweise Kapitalabflüssen gegeben, weil sich dort vor allem risikofreudige Anleger tummeln.
Zudem wurden diese Länder von Juli 2009 bis Juni 2014 mit frischem Kapital im Wert von rund zwei Billionen US-Dollar überschwemmt. Damals legten nämlich die internationalen Anleger ihre Hoffnungen in diese aufstrebenden Volkswirtschaften, weil die reichen Industrieländer von zunächst Rezessionen geplagt waren, und deren Notenbanken zeitgleich die Märkte mit billigem Geld fluteten.
Für den Konjunkturexperten Watt ist es deshalb denkbar, dass sich der Trend schnell wieder umkehrt. »Katastrophal« ist der Kapitalabfluss aus den Schwellenländern für ihn deswegen noch nicht. »Sollte er jedoch anhalten, werden wir ernsthafte Probleme haben«, schätzt Watt. Dann würde die Kapitalflucht beginnen, Auswirkungen auf die globale Konjunktur zu haben.
Zumindest wird die Fed wohl vorsichtig sein und sich gut überlegen, ob sie noch weiter Öl ins Feuer gießen wird. »Die Fed wird diese Entwicklung in ihre Überlegungen mit einbeziehen und entsprechend reagieren«, sagt Watt. Die Stimmen in der US-Notenbank, die die Zinswende erst im nächsten Jahr vollziehen wollen, werden vermutlich in der letzten Zeit an Einfluss gewonnen haben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.