Ingolstädter Euphoriker

Viele Einwohner der bayerischen Stadt sind noch nicht im Fußballbundesliga-Alltag angekommen

Egal ob Busfahrer, Jugendliche oder Passanten in der Fußgängerzone – in Ingolstadt sind die Menschen höflich, freundlich und hilfsbereit. Nur der örtliche Bundesligist scheint in ihren Universen keine Rolle zu spielen. En Reisebericht.

Marcel Schmelzer ist ein freundlicher Mann. Wo sich andere Dortmunder Spieler gelangweilt abwendeten oder sich die offenbar speziell für nicht auskunftswillige Fußballprofis angefertigten Riesen-Kopfhörer aufsetzten, kam »Schmelle« zu den Journalisten, um ein paar Fragen höchster Relevanz zu beantworten.

Und da der Mann so freundlich ist, hatte er auch ein paar nette Worte für den FC Ingolstadt und seine Fans parat, die ja gerade eben das erste Bundesliga-Heimspiel ihres Lebens hinter sich gebracht hatten. In diesem Zusammenhang entfuhr Schmelzer das Wort »Euphorie«.

Das war nun wirklich bemerkenswert, wie alle bestätigen können, die mittags am eher weniger großstädtischen Hauptbahnhof ankamen und sich auf den Weg zum Stadion machen wollten. Denn den gab es nach Auskunft gleich mehrerer Busfahrer eigentlich gar nicht. Es gebe zwar die Linie, 11, auch 21 und 51 seien ganz prima und führen wohl irgendwann auch grob in die erfragte Richtung, mehr sei nun aber auch nicht zu berichten. Ähnliches berichteten ältere Männer, jüngere Frauen und viele andere Menschen, die man als Querschnitt der Bevölkerung durchgehen lassen könnte.

Busfahrer sind bessere Euphorie-Indikatoren als Profifußballer – zumindest, wenn sie wie in Ingolstadt auch gerne einmal über Fußball reden. Dass der FCI in der ersten Liga spielt, hatten die drei allesamt mitbekommen, dass sie das aber an diesem Samstag täten, nicht. Und überhaupt: »Die spielen doch erst um halb zwei. Das ist doch erst in einer Stunde.« Auch die Fahrgäste, allesamt freundlich und hilfsbereit, aber vom FCI so weit weg wie Sylt vom Pazifik, offenbarten im Gespräch lustige Vorstellungen über die Anstoßzeiten in der ersten Liga: 13 Uhr und 13 Uhr 30 hatten einen gewissen Favoritenstatus.

Irgendwann war man dann doch da, hunderte zunehmend hektischer werdende BVB-Fans und ein ausgesprochen gut englisch sprechendes russisches Liebespaar in groundhoppender Mission und Spartak-Moskau-Trikots hatten sich per Akklamation auf einen Gelenkbus geeinigt, der dann auch tatsächlich in die Industrie-Brache fuhr, in der der Aufsteiger ein recht schmuckes Stadion gesetzt hat. Der Rest war das Spiel, ein Schmelzer-Zitat und eine Rückfahrt über Augsburg, bei der junge Menschen, die vom Shopping oder Gotcha-Spielen in Ingolstadt zurückfuhren, sich fragten, wo denn all die Fußballfans aus Dortmund hinführen. »Vielleicht haben die bei den Bayern gespielt. Oder bei den Löwen...«

Nein, Euphorie herrscht in Ingolstadt nicht.

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