Restlos glücklich

Die Initiative »foodsharing« will auch in Leipzig Lebensmittel aus Geschäften vor der Abfalltonne retten

  • Heidrun Böger, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
Aktivisten verteilen überschüssige Lebensmittel an Freunde, Bekannte und in der Nachbarschaft. Ihr Netzwerk in Leipzig befindet sich derzeit im Aufbau.

Lebensmittel wegzuwerfen, fällt vielen Leuten schwer. Aber was soll man machen, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist? Jeder weiß, dass in Geschäften und Restaurants Brot, Brötchen, Obst und Gemüse im Abfall landen, weil sie - obwohl nicht wirklich schlecht - nicht mehr verkäuflich sind. Doch es gibt immer mehr Leute, die gegen die Verschwendung etwas tun wollen. Auch in Leipzig.

Über 100 Aktivisten sind es, die sich in der Initiative »foodsharing« organisiert haben. »Foodsharing« ist englisch und heißt übersetzt: »Lebensmittel teilen«. Die meisten der Leipziger Lebensmittelteiler sind Studierende. Sie sind über das Internet vernetzt. Die Plattform www.foodsharing.de gibt Privatpersonen, Händlern und Produzenten die Möglichkeit, überschüssige Lebensmittel kostenlos anzubieten oder abzuholen.

Alles läuft ehrenamtlich und ohne Geld. Doch wie geht das konkret, Lebensmittel vor dem Wegwerfen zu retten? »Wir gehen gezielt zum Beispiel in Gemüseläden im Leipziger Osten und fragen den Inhaber, ob wir zum Feierabend Obst und Gemüse, das noch gut ist, aber im Abfall landen würde, regelmäßig abholen können«, erzählt Anna-Maria Engel. Die 34-jährige Agrarwissenschaftlerin arbeitet seit Mai 2014 bei »foodsharing« mit, ist inzwischen eine der Organisatorinnen. Studiert hat sie in Stuttgart und Göttingen. Nach einem Jahr in Rumänien ließ sie sich mit ihrem Freund in Leipzig nieder: »Weil hier was geht.«

Noch befindet sich das Leipziger »foodsharing« im Aufbau, etwa 14 von 50 angesprochenen Geschäften beteiligen sich derzeit. Anna-Maria Engel sagt: »Die Resonanz der Ladeninhaber ist gut. Wir wollen aber noch mehr erreichen und überzeugen.« Bei den Abholern seien Zuverlässigkeit und Seriosität wichtig. So kann sich zwar jeder für einen der Abholtermine im Internet auf der Seite www.foodsharing.de eintragen, aber er oder sie muss dreimal mit einem Essensretter mitgehen, bevor er oder sie das erste Mal allein abholt. Momentan gibt es nicht genügend Abholer, weitere Aktivisten aller Altersgruppen sind willkommen.

Die Äpfel, Kartoffeln oder Backwaren - keine gekühlten Produkte - kann jeder selbst essen, Freunden und Bekannten schenken oder in der Nachbarschaft verteilen. Aber nicht verkaufen und Profit daraus schlagen. Das Projekt befindet sich in Leipzig im Aufbau, derzeit gibt es vier sogenannte »Fairteil«-Stationen, wo die Lebensmittel, die die Abholer nicht selbst verbrauchen, gelagert werden: In der Neustädter Straße 20, in der Karl-Liebknecht-Straße 124, im Kutschbachweg 1 (in der Nähe der Angerbrücke) und im Recycling-Museum in der Gießerstraße 30.

Etwa 40 bis 50 Leute aus der »foodsharing« Initiative kümmern sich um die Abholung der Lebensmittel in den Geschäften und darum, dass es in den »Fairteil«-Stationen ordentlich aussieht. Eine solche Station kann auch ein Fahrrad mit großen Körben sein, jeder Passant kann Lebensmittel daraus mitnehmen und hineinlegen. »Am wichtigsten ist für uns, dass es verbraucht wird und nicht im Müll landet«, erklärt Anna-Maria Engel.

Die Initiative »foodsharing« gibt es deutschlandweit, in Berlin zum Beispiel mit etwa 1000 Aktivisten. Angefangen hat alles in den Jahren 2011 und 2012 mit dem Dokumentarfilm »Taste the waste« von Valentin Thurn. In diesem Film geht es um den Umgang der Industriegesellschaften mit Nahrungsmitteln und die globalen Ausmaße von Lebensmittelabfall. »Der Film hat damals viele Leute zum Nachdenken gebracht, was die Verschwendung von Lebensmitteln betrifft«, sagt Anna-Maria Engel. Manche der heutigen Aktivisten kommen aus der sogenannten Container-Bewegung, nur dass das Absuchen von Containern hinter Supermärkten illegal ist - im Gegensatz zum »foodsharing«.

Unter der »foodsharing«-Seite im Internet kann man unter der Rubrik »Essenskörbe« überschüssige Lebensmittel abgeben, nach dem Motto: »Ich fahre in Urlaub, habe den Kühlschrank voll, wer will die Lebensmittel haben?« Nicht zuletzt macht die Initiative Werbung in eigener Sache, das nächste Mal am 5. September mit einem Stand zum »vegan summer day« auf der Alten Messe.

www.foodsharing.de

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