Temporausch und tiefer Fall
Die Ausstellung »Tanz auf dem Vulkan« im Ephraim-Palais lässt die Zwanziger aufleben
Die »Goldenen Zwanziger« des letzten Jahrhunderts - eine wilde, rauschhafte, widersprüchliche Zeit, die bis heute fasziniert. Berlin steht wie keine andere Stadt für diese Epoche zwischen Glamour und Elend, Lust und Laster, oberflächlichem Vergnügungswahn und politischen Umwälzungen. Grund für das Stadtmuseum, in einer umfassenden Ausstellung im Ephraim-Palais dem Mythos der 20er Jahre nachzuspüren und den Geist jener Zeit mit Gemälden und Fotografien, Film- und Tondokumenten sowie Werken aus Architektur, Design, Mode und Theater auferstehen zu lassen.
Mit über 500 Werken von ca. 200 Malern, Grafikern, Fotografen, Kunsthandwerkern und Modeschöpfern versucht die Schau mit dem Titel »Tanz auf dem Vulkan - Das Berlin der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste« einen ganzheitlichen Blick auf die politische, soziale und geistige Entwicklung dieser kurzen und doch so prägnanten Umbruchphase, die durchaus mit der Gegenwart vergleichbar ist. Zwar verhindert das soziale Netz heutzutage meist den Absturz ins totale Elend, doch bleiben Parallelen genug: hohe Arbeitslosigkeit, Wohnungsknappheit, eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, aber auch ein ungeheurer Hype um die Metropole Berlin, der Menschen aus aller Welt anzieht, darunter viele Künstler. Berlin, mit vier Millionen Einwohnern damals die drittgrößte Stadt der Welt, wurde zum Zentrum der Avantgarde, stand für Tempo, Schnelllebigkeit, für ein aufregendes Nachtleben und immer neue Sensationen. Nach den Kriegsjahren und den politischen Straßenkämpfen gierten die Menschen nach Spaß und Abwechslung, die Kinos, Tanzlokale und Varietés rund um die Gedächtniskirche waren Abend für Abend voll.
Die nicht chronologisch, sondern geschickt in 18 Themenräume gegliederte Ausstellung nähert sich diesem Lebensgefühl mit Bildern und Zeichnungen in diversen Stilrichtungen, von Hans Baluscheks großartigen Sozialstudien bis zu Moriz Melzers farbenfroh-kubistischer »Brücke - Stadt« von 1921, mit Originalplakaten, Fotos, Werbung sowie Film- und Tondokumenten wie einer Rundfunkreportage von Alfred Döblin aus dem Jahr 1931. Themenräume wie »Im Takt« über die aufwändig gestalteten Revuen jener Zeit oder »Die im Licht« bringen dem Besucher das schillernde Nachtleben jener Zeit nahe, u.a. anhand von Grammophon-Anlagen, Möbeln und Designobjekten sowie schicken Cocktail- und Abendkleidern, die gerade den Frauen eine völlig neue Bewegungsfreiheit erlaubten.
Auf das Bild dieser »neuen«, oft berufstätigen Frau wird ebenso eingegangen wie auf die großen Theater-, Tanz- und Zirkusstars jener Zeit wie Anita Berben, Trude Hesterberg und Marlene Dietrich, deren Schönheit kunstvolle Schwarz-Weiß-Fotografien festhielten. Naiv mutet aus heutiger Sicht der unbedingte Glaube an die Wunder der Technik an. Mit der flächendeckenden Elektrizität hielten neue Geräte Einzug, schnelle Bahnen, Autos und Flugzeuge versprachen Mobilität ohne Grenzen. Kein Varieté, kein Zirkus, der etwas auf sich hielt, kam ohne komplizierte Apparaturen und großangelegte Werbekampagnen aus. Einige Neuerungen brachten tatsächlich auch dem Volk etwas: Medien wie Hörfunk und Schallplatten demokratisierten die Kultur, der sozial engagierte Wohnungsbau von Gropius, Taut und Scharoun begründete Berlins Ruf als Zentrum moderner Architektur.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Massenarbeitslosigkeit und Inflation führten zu einem ganzen Heer von Armen, darunter viele Kriegsversehrte; die schlichten und doch pointierten Federzeichnungen von Heinz Schmidt-Berg zeigen das Elend dieser Menschen ebenso wie Lithografien von Käthe Kollwitz und Otto Dix. Die Prostitution blühte. Alptraumhaft wirkt die nächtliche Stadt in den düsteren Federzeichnungen des fast unbekannten Werbegrafikers Bruno Böttger-Steglitz, der Elendsgestalten in schummrigem Licht zeichnete, oder im verfrorenen »Straßenmädchen« von Richard Ziegler aus dem Jahr 1928. Laut, fett und ordinär kommen dagegen die neureichen Kriegsgewinner und Spekulanten daher, künstlerisch seziert von Georg Grosz, Max Beckmann und dem Karikaturisten Fred Knab - Künstler, deren moralische Abscheu sich in jedem Pinselstrich ausdrückt.
Das Ende des Ausstellungsrundgangs bildet der Raum »Unter dem Hakenkreuz«, in dem besonders die von Klaus Richter geschaffenen Bildnisse von Göring und Hitler im Gedächtnis bleiben: gemalte Psychogramme des Bösen. Eine Sonderschau über den 20er-Jahre-Duft »IA-33« und die Berliner Parfümerie Schwarzlose im dritten Stock des Ephraim-Palais vervollständigt die umfassende Schau, zu der sich noch ein fulminantes Rahmenprogramm mit Führungen, Swingwalk übern Kudamm sowie einem Symposium in der Deutschen Oper hinzugesellt.
4.9. bis 31.1., Ephraim-Palais, Poststr. 16, Mitte. Geöffnet Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr. Begleitprogramm unter www.stadtmuseum.de
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