Expressiv vor dem Ende
Das Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder) zeigt Kunst aus dem letzten Jahrzehnt der DDR
Im Vergleich mit dem schwerreichen Namensvetter am Main hat Frankfurt (Oder) nicht viel, womit es sich brüsten kann. Umso mehr Aufmerksamkeit gebührt dem dortigen Museum Junge Kunst, das aus seiner bedeutenden Sammlung von Werken aus der DDR ambitionierte Sonderausstellungen bestreitet. Die Ausstellung »DDR Expressiv - Die 80er Jahre« vereint aktuell 130 Werke von 39 Künstlern aus dem letzten Jahrzehnt der DDR. Eine Schau, die Skeptiker überraschen dürfte.
Kunst in der DDR - dass es das überhaupt gegeben habe, beeilte sich Georg Baselitz schon 1990 zu bestreiten. Unter kollektivem Ideologieverdacht wanderten auch Meisterwerke großer Maler wie Willi Sitte, Werner Tübke oder Bernhard Heisig 1990 in die Depots. Zusammen mit einem Großteil des kulturellen Erbes der DDR wurde die Idee einer eigenständigen Kunst eifrig auf den Müllhaufen der Geschichte verfrachtet. Die Vorstellung, dass Künstler am Fließband sozialistisch-realistische Historienschinken fabriziert haben, ist bis heute vor allem im Westen salonfähig. Die Geschichte der innerdeutschen Kunstverständigung - sie ist eine Geschichte der Demütigungen und Kränkungen, des Bilderstreits und der Ausstellungsskandale.
In dieses Klima stößt nun der Kurator Armin Hauer mit seiner fast im Alleingang realisierten Ausstellung im Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder), die so gar nicht in das tradierte Bild der DDR-Kunst passen will: Aus der herausragenden Sammlung des Museums (sie gilt als der bundesweit bedeutendster Bestand von Kunst aus der DDR) hat Hauer 130 Werke aus der letzten Dekade der DDR ausgewählt, die mit ihrem expressiven Kunstschaffen das Gesicht ihrer Epoche geprägt haben - Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Skulpturen.
Es war die Generation der um 1950 Geborenen, die in den 1980er Jahren den Ton der künstlerischen Avantgarde angaben, darunter viele Schüler von Heisig und Wolfgang Mattheuer. Hubertus Giebe gehört hierzu, ebenso Walter Libuda, Johannes Heisig oder Wolfgang Smy. Die Schau zeigt jedoch nicht nur die jungen Wilden der DDR in ihrer Blüte, sondern auch ihre Vorbilder: Jürgen Wenzel verbeugt sich mit seiner Grafikserie »Die Brücke - eine Hommage« vor den historischen Vorläufern des eigenen künstlerischen Ausdrucks und zeigt, was man sich aus dem Werkzeugkasten der Expressionisten lieh: schreiende Farben, schroffe Kontraste, harte Konturen. Zutaten, mit denen sie 80 Jahre nach Kirchner und Pechstein ihre Leinwände zum Explodieren brachten.
Das Wilde und Expressive, das der Ausstellung den Titel leiht, ist die gemeinsame Klammer, die 39 teils sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler vereint. Es verweist auf die subjektive, emotionale und unmittelbare Malweise, die in der DDR der 80er Jahre den Ton angab, in einem Ausmaß, dass Armin Hauer es einen »Generationsstil« nennt: »Natürlich gab es auch realistisch, sachlich oder spätimpressionistisch arbeitende Junge. Doch es kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass die Mehrheit der Künstler dieser Altersgruppe vom Neoexpressiven infiziert war.«
Wer die Kunst der DDR vorwiegend mit Marx-Porträts und Arbeiterszenen im Morgentau verbindet, wird überrascht sein von der Vielfalt an Themen und künstlerischen Herangehensweisen, die in der Schau aufeinandertreffen: Es sind kritische Abarbeitungen an der kulturpolitischen Doktrin des Sozialistischen Realismus, es sind aber auch höchst subjektive und intime Studien zu Fragen von Liebe, Tod und Gewalt. Die Einsamkeit inmitten der lauten Großstadtnächte scheint auf in den Werken von Johannes Heisig und Ellen Fuhr.
Der experimentelle Umgang mit Farbe, Fläche und Form, die Zitate, Symbole und Verweise sind ideelle und politische Sinnsuche innerhalb der Kunst, die mit Feinsinn und Klugheiten ihren Weg zwischen den politischen Imperativen suchte, ohne dabei je den Boden des gesellschaftlich Gemeinsamen zu verlassen. Mit seiner Auswahl befragt Kurator Armin Hauer diese letzten Bilder der DDR: War es das Krisenklima der 80er Jahre, das die Künstler zum Expressiven aufpeitschte? Taugt ihre Kunst als ein Seismograf, der das nahende Ende bereits erahnen lässt? Hat man es hier gar mit »Gefängniskunst« zu tun, mit einem Sehnen nach Freiheit, wie mitunter diagnostiziert wird?
Die Ausstellung im gotischen Festsaal der Rathaushalle führt die künstlerische Bildsprache der DDR kurz vor ihrem Untergang zusammen. Eine Bildsprache, die in der »Westkunst« ein sehr ähnliches Pendant hatte - das ist wohl die größte Überraschung dieser Schau. Die Wucht und Brutalität der »Heftigen Malerei« und des »Bad Painting« waren in Westeuropa und den Vereinigten Staaten ebenfalls die tonangebende Richtung - auch hier hielt die kunsthistorische Behelfsklammer des »Neo-Expressionismus« Künstler wie Martin Kippenberger und Helmut Middendorf zusammen.
Doch während die Berufsquerulanten der Westkunst in beispielloser Rotzigkeit dem Establishment ihren Hohn vor die Füße spuckten, ist der Ton in den Bildzeugnissen der DDR ein erkennbar anderer, ein ernsterer: »Bildwitz und Schnoddrigkeit im Umgang mit den großen Themen des Lebens oder eine postmoderne Zeichenakrobatik sind in der DDR selten zu finden«, so Kurator Hauer. Was hiervon kulturpolitischer Kompromiss ist, was eigenständige Handschrift, lässt die Ausstellung bewusst offen. Alle ausgestellten Kunstschaffenden waren Mitglieder des Verbands Bildender Künstler.
Es zeugt von der immer noch herrschenden Sprachlosigkeit zwischen Ost und West, dass im anderen Frankfurt, nämlich am Main, im Städel-Museum gleichzeitig eine Ausstellung zur Kunst der 80er Jahre stattfindet - allerdings mit Künstlern aus der BRD. Auf eine gemeinsame Ausstellung, die Künstler aus der DDR und der Bundesrepublik in ihren Werken einander unvoreingenommen gegenüberstellt, wartet die Welt bislang vergeblich. Mit den beiden Ausstellungen in den zwei Frankfurts gibt es momentan zumindest einmal die rare Gelegenheit, das Kunstschaffen einer Epoche in beiden deutschen Staaten in einem Zusammenhang zu erleben - vorausgesetzt, die Distanz von 600 Kilometern schreckt nicht ab.
Bis 27. September, nach Unterbrechung noch mal vom 15. November 2015 bis 24. Januar 2016, Rathaushalle/Festsaal, Marktplatz 1, Di-So 11-17 Uhr.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.