Jeremy Corbyn rückt Labour nach links

Abgeordneter, Parteirebell, Hoffnungsträger: 66-Jähriger gewinnt Urwahl schon in der ersten Runde klar mit fast 60 Prozent / Podemos-Chef Iglesias: Eine großartige Nachricht / Linkspartei gratuliert, SPD meckert

  • Lesedauer: 4 Min.

Update 15.40 Uhr: Riexinger wünscht SPD »jemanden wie Corbyn«
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hat die Wahl von Jeremy Corbyn an die Spitze der britischen Sozialdemokraten begrüßt. »New Labour« war gestern, so Riexinger, »die Zukunft ist links«. Die Mitglieder und Unterstützer der Partei hätten deutlich gemacht, »dass sie keinen Parteichef wollen, der sich im Establishment behaglich einrichtet«. Corbyn sei stattdessen »ein aufrechter Sozialdemokrat, der mit der neoliberalen Kürzungspolitik brechen und die in weiten Teilen privatisierte Daseinsvorsorge wieder in öffentliche Hände geben will«. Riexinger sagte mit Blick auf die SPD, die »unter Sigmar Gabriel ökonomenhörig vor sich hin stagniert und ihren sozialen Kompass längst verloren hat«, der Partei könne »jemanden wie Jeremy Corby nur wünschen«.

Update 13.45 Uhr: Linkspartei gratuliert, SPD meckert
Glückwünsche zu Corbyns Wahl kamen von Linksfraktionvize Dietmar Bartsch. Dass »ein überzeugter Sozialist« am Samstag als neuer Labour-Chef gewählt wurde, sei »ein guter Tag für die europäische Linke«, twitterte der Linken-Politiker. In der deutschen Schwesterpartei von Labour wurde hingegen Kritik lauf. Der Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, Nils Schmid, nannte Corbyns Wahl auf Twitter »schlechte Nachrichten« und »eine Flucht vor der Realität«. Er hoffe, Labour werde nun »nicht für viele Jahre bedeutungslos«.

Update 13.15 Uhr: Podemos-Chef Iglesias: Eine großartige Nachricht
Podemos-Chef Pablo Iglesias sagte in einer ersten Reaktion, Corbyns Erfolg sei eine großartige Nachricht und ein Schritt vorwärts auf dem Weg, Europa im Interesse der breiten Bevölkerung zu verändern.

Jeremy Corbyn rückt Labour nach links

Berlin. Links wirkt, könnte man sagen: Der linke Labour-Abgeordnete Jeremy Corbyn ist wie von vielen erhofft der neue Vorsitzende der britischen Sozialdemokraten. Er erhielt bereits in der ersten Runde fast 60 Prozent der Stimmen, wie die Partei am Samstag in London mitteilte. Vier Kandidaten waren im Rennen um die Nachfolge von Ed Miliband, der nach der verlorenen Parlamentswahl im Mai zurückgetreten war. Rund 554.000 Labour- und Gewerkschaftsmitglieder sowie erstmals auch registrierte Unterstützer der Partei waren stimmberechtigt. Zum Vize-Parteichef wählten sie den Abgeordneten Tom Watson.

Nach seinem Wahlsieg rief Corbyn dazu auf, in Großbritannien eine »bessere Gesellschaft« aufzubauen. Dies sei mit einer entschlossenen Labour-Partei möglich. Im Wahlkampf hatte er großen Zuspruch von jüngeren Parteimitgliedern, Gewerkschaftern und den Gegnern des politischen Establishments erhalten. Zu seinen schärfsten parteiinternen Kritikern gehörte Ex-Premierminister Tony Blair, der Corbyn als Gefahr für Labour bezeichnet hatte, weil er moderate Wähler in die Arme von Tories-Chef Cameron treibe.

Der 66-Jährige ist seit 1983 Abgeordneter im britischen Unterhaus. Mehr als 500 Mal soll der Sohn eines Ingenieurs und einer Mathematiklehrerin gegen die immer weiter nach rechts orientierte Parteilinie gestimmt haben - etwa gegen den von Tony Blair vertretenen Unternehmensfreundlichen New-Labour-Kurses.

»Wir verändern die Politik Großbritanniens, wir stellen die Darstellung in Frage, dass nur das Individuelle zählt und sagen stattdessen, dass das Allgemeinwohl unser aller Streben ist«, sagte Corbyn am Donnerstagabend bei seiner Abschlusskundgebung in seinem Wahlkreis im Norden Londons. Labour steckt seit Jahren in einer Orientierungskrise. Unter dem langjährigen Premierminister Tony Blair (1997-2007) war sie stark in die Mitte des politischen Spektrums gerückt. Corbyn steht jedoch eher für einen klar linken Kurs - etwa mit seiner Ablehnung einer Sparpolitik vertritt der 66-Jährige Positionen, die denen der griechischen SYRIZA-Partei und der spanischen Podemos-Bewegung näher sind als denen von Blair. Als Pazifist setzt sich Corbyn für eine Abschaffung der britischen Atomwaffen ein, ist gegen ein militärisches Eingreifen in Syrien. Auch den Irakkrieg hatte er entschieden abgelehnt.

Der konservative Premierminister David Cameron gefiel sich in Diffamierung. Er habe die Kampagne Corbyns mit »Fassungslosigkeit« verfolgt, wie er laut einer vorab veröffentlichten Rede erklärte. Labour sei »jetzt eine Partei, die das intellektuelle Spielfeld vollständig geräumt hat und nicht mehr die arbeitende Bevölkerung vertritt«. Labour wolle lediglich »mehr Ausgaben, mehr Kredite und mehr Steuern«. Damit sei sie »eine klare Bedrohung für die finanzielle Sicherheit jeder Familie in Großbritannien«. Agenturen/nd

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